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Von Normalisierung kann so schnell keine Rede sein
In einer Sondersitzung erörtert der Haushaltsausschuss des Landtags die Konsequenzen der geplanten Neuverschuldung in der Coronakrise
Die exzessive Staatsverschuldung auf Bundes- und Landesebene bleibt in der Wissenschaft nicht unwidersprochen. Bei einer Fachanhörung während einer Sondersitzung des Haushaltsausschusses des Landtages am Donnerstag in Potsdam wurde deutlich, dass der gegenwärtige Stand der Corona-Pandemie keineswegs jede Kreditaufnahme rechtfertigt, beziehungsweise auch nicht ohne weiteres das in der Landesverfassung festgelegte Schuldenverbot aushebelt.
Zur Debatte stand das Sondervermögen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, mit dem die rot-schwarz-grüne Landesregierung in nächster Zeit Maßnahmen der Krisenbewältigung finanzieren will. Diese Summe kommt zu den im Frühjahr bereits beschlossenen Schulden-Milliarden hinzu. Einen solchen Fonds anzulegen sei unter der Voraussetzung einer Notsituation grundsätzlich möglich, sagte Steffen Iwers vom Parlamentarischen Beratungsdienst des Landtags. Zuvor müssten aber alle Einsparpotenziale ausgeschöpft sein. Eine Verletzung des dem Landtag vorbehaltenen Budgetrechts liege nicht vor, weil der Landtag selbst die Einrichtung des Sondervermögens beschließe und auch die Macht habe, dies wieder rückgängig zu machen.
Verständnis für die Maßnahmen der Landesregierung äußerte vor dem Hintergrund des Einbruchs des deutschen Bruttosozialproduktes um 5,4 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Lenk von der Universität Leipzig. Mit Blick auf die aktuelle Situation könne zudem nicht so schnell mit einer Normalisierung gerechnet werden. Ob und wann man das Vorkrisenniveau wieder erreicht werden könne, sei ungewiss, sagte er. Derzeit sei es kaum möglich, die Schäden zu beziffern. Daher müsse man diese Lage mit »entschlossenem und zielgerichtetem Handeln« abfedern. Die Einrichtung eines Sondervermögens sei »ein zweckmäßiger, erprobter Weg«.
Vor einem solchen Schritt warnte Niklas Potrafke, Finanzwissenschaftler von der Ludwig-Maximilians-Universität München. »In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken«, sagte er den Abgeordneten. Was mit der hohen Schuldenaufnahme bezweckt werden solle - die Ökonomie wieder in Fahrt zu bringen - sei zweifellos wünschens- und erstrebenswert. »In der Praxis ist es so, dass dies leider nicht klappt.« Denn Voraussetzung dafür, dass dies funktioniere, sei, dass das Wirtschaftswachstum immer höher liege als die Zinszahlungen. Alles müsse zurückgezahlt werden, »denn das Geld wächst nicht am Baum.«
Potrafke bezweifelte, dass es das Recht der Landesregierung ist, die Schuldenbremse bis 2023 auszusetzen. Er empfahl, dies, sofern nötig, von Jahr zu Jahr neu zu beschließen. Einen Fonds anzulegen, der es der Landesregierung ermöglicht, rasch zu reagieren, sei »mit Sicherheit ein Vorteil«, bestätigte der Wissenschaftler. Es seien auch Situationen vorstellbar, in der das nötig sei. »Aber eine solche Situation liegt nicht vor.« Der Nachteil dieses Sondervermögens sei die damit verbundene Intransparenz. Würde man den Weg über Nachtragshaushalte gehen, wäre der Landtag jährlich einbezogen. »Es gibt gute Argumente, es mit Sondervermögen nicht zu versuchen.« Den Plan der Landesregierung, diese Corona-Schulden in 30 Jahren mit jährlich 3,3 Prozent zu tilgen, nannte er »sehr fragwürdig«. Denn das setze voraus, dass es 30 Jahre lang keine Rezession geben werde. Das aber sei extrem unwahrscheinlich.
Dass es sich in Brandenburg um eine Notsituation handelt, wurde von dem Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider von der Universität Erlangen-Nürnberg rundweg bestritten. »172 Tote sind keine Notsituation, und schon gar keine außergewöhnliche«, sagte er bezogen auf Brandenburgs Corona-Sterbestatistik, so bedauerlich jeder einzelne menschliche Verlust sei. Viele der Verstorbene seien nicht gesund und schon alt gewesen. Um die verfassungsmäßige Schuldenbremse auszuhebeln, müsse aber eine Notsituation vorliegen, nicht einfach nur eine finanziell schwierige Lage. »Diese Notsituation sehe ich nicht.« In der Kriegs- oder Nachkriegssituation, etwa unter dem Eindruck der Spanischen Grippe von 1918, habe man von einer Notsituation reden können. Dass der Staat derzeit Finanzmittel in beträchtlichem Umfang ausreiche, »wird von Betroffenen gern gesehen«, so Schachtschneider, aber das Recht müsse auch eingehalten werden. Für Sondervermögen gebe es juristisch und staatsrechtlich sehr enge Grenzen. Derzeit gebe es keinen Grund, 1,6 Milliarden Euro aus dem ordnungsgemäßen Haushaltsverfahren herauszulösen.
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