Die Freiheit im Käfig
Blindenfußballer genießen die Zeit auf dem Platz besonders. Am Wochenende wird der Deutsche Meister ausgespielt
»Für mich ist es die große Freiheit, wenn ich mich auf dem Platz ohne Hilfsmittel ganz frei bewegen kann«, sagt Serdal Celebi. Der Stürmer des FC St. Pauli, der im August 2018 als erster blinder Fußballer das »Tor des Monats« (ARD) schoss, spielt mit seinem Team an diesem Sonnabend um die deutsche Meisterschaft. Das Bundesligafinale auf dem Domplatz in Magdeburg gegen den MTV Stuttgart »wird ein spannendes und kampfbetontes Spiel«, meint Pauli-Trainer Wolf Schmidt.
Beim Blindenfußball werden die Augen der Spieler abgeklebt, darüber kommt eine Dunkelbrille - für gleiche Bedingungen aller, falls noch ein paar Prozent an Sehfähigkeit geblieben sind. Darüber: Ein Kopfschutz, der bei Zusammenstößen schützen soll. Und der Ball hat innen Rasseln. Die Spieler rufen das spanische Wort »Voy«, was so viel bedeutet, wie »ich komme«. Der einzig sehende Feldspieler ist der Torwart: Er dirigiert seine Vorderleute, darf seinen Zwei-Meter-Raum aber nicht verlassen. Orientierung für die vier blinden Spieler jeder Mannschaft liefern noch die Banden an den Seitenlinien, die Begrenzung des 20 Mal 40 Meter großen Spielfeldes. Außerdem gibt es pro Mannschaft zwei »sehende Guides« und die Trainer, die vom Spielfeldrand aus Anweisungen geben dürfen.
Die psychische Anstrengung ist manchmal härter als die physische, weil der Kopf durch die äußeren Einflüsse dauerhaft belastet wird, sagt Rasmus Narjes, Nationalspieler und Kapitän von St. Pauli. »Sich orientieren, kommunizieren, den Ball die ganze Zeit hören, die Torhüter und Mitspieler wahrnehmen, die Gegenspieler umlaufen, den Ball führen: Es sind viele Dimensionen, die beim Blindenfußball aufeinandertreffen«, erklärt der 20-Jährige, der Jura in Hamburg studiert. Die Taktik erklärt Trainer Schmidt mithilfe einer »taktilen Taktiktafel«, einem maßstabgetreuen Minispielfeld mit kleinen Figuren darauf, an dem die Mannschaft verschiedene Spielsituationen erfühlen und besprechen kann.
Im internationalen Vergleich spielen die deutschen Blindenfußballer nicht ganz oben mit. Ein Grund: Die Nationalspieler bekommen, anders als etwa in England, kein Gehalt. Das mache die Vereinbarkeit von Sport, Job und Familie sehr schwierig, erklärt Schmidt. Celebi nutzt die Popularität seines »Tor des Monats«, um für seinen Sport zu werben.
Auch Kapitän Narjes investiert viel in die Karriere. Sieben Jahre lang pendelte er zweimal pro Woche aus dem 75 Kilometer entfernten Volkwardingen in die Hansestadt zum Training. »Man muss den Sport schon lieben, um das zu tun«, sagt er rückblickend. Und das tut er: »Man kann laufen, wie man möchte. Man kann agieren, wie man möchte. Das ist eine Sache, die man sonst als Blinder nicht immer hat. Auf dem Platz ist man völlig frei«, sagt Narjes. Der Fußball habe ihm geholfen, sich auch im Leben durchzusetzen. dpa/nd
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