Kleiner Prinz, so bleich
Volker Pfüller ist gestorben
Schönste der Wahrnehmungen: anders zu schauen, als du sehen sollst. Denn immer sollst du irgend was. Sollst begreifen, sollst bedenken, sollst befolgen. Sollst Einsicht zeigen. Einsicht endet in Vorsicht: um nicht das Nachsehen zu haben. Kein Wunder, dass sich der Mensch die Vorsehung erfand: Fantasie also - die außerhalb deiner Maßvorgaben das Leben lenkt. Die Ahnung, es gäbe Dämonen, kann in dir düstere Bilder schaffen oder drollige. Das Düstere ist Ergebenheit, das Drollige Widerstand. Die Bilder von Volker Pfüller stehen im Gespräch über den Bund beider. Farbe als Schwung oder Punkt, gesehene Landschaft und erfundene Welt.
An Pfüller zu denken, heißt: die Theaterwelt des Alexander Lang aufzurufen. Deutsches Theater Berlin, vor Jahrzehnten war’s: »Dantons Tod«, »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe«, »Herzog Theodor von Gothland«, im Doppelpack mit »Iphigenie«, dann die »Trilogie der Leidenschaft«: mit »Medea«, »Stella«, »Totentanz«. Bei Lang klaffte zwischen Spieler und Gespieltem stets so ein strichdünner Spalt hinaus ins Universum; durch diesen Riss sah man, wie der Mensch als großer trauriger Junge in einem überfarbigen Spielzimmer sitzt. Volker Pfüller kleidete dies Theater ein, baute ihm Bühnen. Kafka kasperte mit der Kindlichkeit des Kleinen Prinzen. Bleiche Geister mit toten Wangenpunkten gaben das witzigste Stück: Wie elend schwer ist es, ein Mensch zu sein. Auf irrenden Wegen vom Nichts ins Nichts. Die Groteske tänzelte in die Katastrophe, die Tragödie in die Farce. Auch Pfüller trug daran mit: Theater als kraftvoller Harlekin, der die Ästhetik der Ausmalung aus den Kulissen trieb.
Kunst, bei der man Gedanken sehen konnte. Nur ein Beispiel: Christian Grashof als Gothland - mit kalkweißem Gesicht und dick rot umränderten Augen unterm langen karottenroten Haar. Geziert und zart, genau und giftig artikulierend: den Stolz, den Übermut, die Verzweiflung, die Bosheit. Sinn und Form zur äußersten Zuspitzung getrieben, in den Kern der Arbeit hinein: Alles, was geschieht, hat einen doppelten Boden.
Pfüller, 1939 in Leipzig geboren: Grafiker, Hochschulprofessor. Bühnenbilder schuf er auch für die Münchner Kammerspiele, die Volksbühne Berlin, das Thalia Theater Hamburg. Für Dorn und Langhoff, Dresen und Stillmark. Auch hat er »Tiergeschichten« des großen expressiven Schauspielers Ekkehard Schall illustriert, Gedichte für Kinder. Hase und Jagdhund: die schöne Treue der Feindschaft. Oder das seltsame Tier Willi Mensch, das die Erde und sich selbst zerstört. Und rückwärts gepolte Krebse - sie steuern große Schiffe: Fortschritt ist, ihn aufzuhalten.
Seine große, oft preisgekrönte Kunst, das Plakat, hat Pfüller regelmäßig auch ins wahrlich Kleine übertragen: auf Glückwunschkarten zum Jahreswechsel. Eine grandiose Sammlung. Perlende Magie: Glücksschweine und Grashüpfer. Überhaupt Tiere über Tiere - die aber Gesichter ganz aus Mummenschanz und lustigster Mutation tragen: Wer hat schon ein eindeutiges Gesicht? Nun ist Volker Pfüller im Alter von 81 Jahren in Rudolstadt gestorben.
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