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Sieg eines Unbekannten
Beim Giro d’Italia war Tao Geoghegan Hart eigentlich die dritte Option seines Rennstalls. Nun gewann er.
Tao Geoghegan Hart hatte es spannend gemacht bei diesem Giro d’Italia. Nur mit einem 126. Platz begann er beim Zeitfahren in Palermo die Italien-Rundfahrt. »Damals war ja Geraint Thomas noch unser Kapitän«, erklärte er später sein anfängliches Abschneiden. Er hatte nicht alle Kraft auf die Pedale gebracht, hatte sich geschont für Helferaufgaben. Nach dem Sturz seines Kapitäns rückte er aber Tag für Tag mehr ins Rampenlicht. So weit arbeitete er sich vor, dass ihn am Sonntagmorgen nur 86 hundertstel Sekunden vom ersten Platz trennten. Den nahm vor dem Zeitfahren Jai Hindley ein, mit 24 Lebensjahren noch ein Jahr jünger und wie Geoghegan Hart lediglich als Helfer zu diesem Giro gereist.
3345 Kilometer hatten beide vor dem Zeitfahren zurückgelegt, 85 Stunden 22 Minuten und sieben Sekunden dafür gebraucht. Nicht jede Etappe fuhren sie im gleichen Takt. Beim Zeitfahren in Palermo war Hindley schneller. Geoghegan Hart hatte mehr Bonussekunden durch seine zwei Etappensiege geholt. Hindley gelang ein Tageserfolg. Die letzten Tage aber hatten sie gemeinsam verbracht. Am Stilfser Joch folgte Hindley dem Briten wie ein Schatten dem von der Sonne beschienenen Körper. In Sestriere am Samstag war es wiederum Geoghegan Hart, der hinter dem Australier fuhr, und auf jede Attacke seines Rivalen die passende Antwort parat hielt.
Die schicksalshafte Hand der Logistikabteilung des Giro wollte es dann sogar, dass beide die Nacht zum Sonntag im gleichen Hotel verbrachten. Möglicherweise tranken sie sogar einen Espresso gemeinsam.
Denn trotz ihrer Rivalität sind sie Freunde, trafen sich immer wieder bei den Nachwuchsrennen - und lernten sich bei aller sportlichen Gegnerschaft auch menschlich schätzen. »Wir sind ganz gute Freunde«, meinte Hindley, der etwas lockerer wirkende und gegenüber Journalisten gesprächigere Bursche. »Jetzt ist es einfach schön, dass wir miteinander um den Sieg kämpfen können. Mal sehen, wer der Bessere von uns ist«, meinte Hindley, und lachte.
Geoghegan Hart, vor fünf Jahren bereits Trainee beim Rennstall Sky und seit vier Jahren in der Profimannschaft, schien den Erfolgsdruck stärker zu verspüren. Team Ineos musste schließlich liefern, erst recht, seitdem in diesem Sommer die Tour de France verloren ging und beim Giro der nominelle Kapitän Geraint Thomas wegen eines dummen Sturzes über eine Trinkflasche ausschied. »Für einen Tag wünsche ich mir die Beine von Filippo Ganna«, suchte Tao Geoghegan Hart Zuflucht beim Unerfüllbaren. Sein Teamkollege Ganna ist Zeitfahrweltmeister, Spezialist also in der Disziplin vom Sonntag. Er dominierte die drei Zeitfahren dieses Giros, war eine Klasse für sich wie einst der Italiener Fabian Cancellara. Doch so weit immerhin ist man beim sich gern als Avantgarde gebenden Rennstall Ineos noch nicht, für eine Etappe mal schnell Muskulatur transplantieren zu können. Daher strebte Ganna dann auf eigenen Beinen ungefährdet dem Etappensieg entgegen. Und Hart, dessen 86 Hundertstel Sekunden Rückstand auf dem Straßenpflaster etwa neun Meter bedeuteten, musste sich auf seine eigenen Beine verlassen.
Die brachten ihn schnell in Vorteil. Von sechs über sieben bis hin zu 17 Sekunden baute er seinen Vorsprung aus. Sein Tritt wirkte weniger elegant als der seines Rivalen Hindley, er hatte aber auch eine größere Übersetzung aufgelegt. Und mit Kraft holte er sich das rosa Trikot.
Damit schloss sich ein Kreis. Als 2010 der Rennstall Sky gegründet wurde und sich in London präsentierte, fuhr der in Englands Hauptstadt aufgewachsene Tao Geoghegan Hart zu dem Event und bewunderte einen gewissen Bradley Wiggins. Jetzt ist er auf dem Wege, der neue Wiggins (fünffacher Olympiasieger, Gewinner der Tour de France 2012) zu werden. Mit Geoghegan Harts Sieg gelingt zugleich dem Rennstall Ineos/Sky der interne Generationswechsel. Der vierfache Toursieger Chris Froome wurde abgegeben, die Zeit von Geraint Thomas scheint zu Ende. Mit Geoghegan Hart gewann der Rennstall nun aber zum zweiten Mal den Giro. Und einen gewissen Egan Bernal aus Spamien (Toursieger 2019) hat das Team ja auch noch.
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