Engels und die Erntehelfer

Was die Klassiker zur Migration sagen - ein Leseheft der Linksfraktion Oder-Spree

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der gewöhnliche englische Arbeiter hasst den irischen als einen Konkurrenten, der die Löhne und den Lebensstandard herabdrückt. Er empfindet ihm gegenüber nationale und religiöse Antipathien. Er betrachtet ihn fast mit denselben Augen, wie die armen Weißen der Südstaaten Nordamerikas die schwarzen Sklaven betrachten.« Dies werde von der Bourgeoisie geschürt. Es sei das Geheimnis der Entfaltung ihrer Macht.

Das schrieb der Philosoph Karl Marx 1870. Man kann es in der Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels nachlesen - oder aber nun auch in einem »Leseheft für den politischen Gebrauch«, das Artur Pech zusammengestellt und mit einer Einleitung versehen hat. Pech ist Linksfraktionschef im Kreistag Oder-Spree und hat aus aktuellem Anlass zusammengesucht, was Marx und Engels zur Ein- und Auswanderung von Arbeitskräften geschrieben haben. Eine Broschüre »Marx und Engels über Migration« ist es geworden, herausgegeben in einer Auflage von 500 Exemplaren von der Kreistagsfraktion.

Im Frühjahr hatte die polnische Regierung die Ausbreitung der Corona-Pandemie eindämmen wollen und vorübergehend verfügt, dass sich aus Deutschland heimkehrende Staatsbürger zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen. Das war ein schwerer Schlag. Denn zum Personal von Krankenhäusern in Ostbrandenburg gehören polnische Ärzte und Krankenschwestern, die nicht mehr täglich zur Arbeit pendeln konnten. Bauern beschäftigen überdies polnische Erntehelfer, Speditionen polnische Kraftfahrer.

25 000 Polen fahren täglich zur Arbeit nach Berlin und Brandenburg. In einigen Kliniken nahe der Grenze stammen etwa 30 Prozent des Personals aus dem Nachbarland, und im vergangenen Jahr waren in der märkischen Landwirtschaft 2545 ausländische Arbeitskräfte eingesetzt, hauptsächlich Polen und Rumänen. In der zweiten Welle der Pandemie sind solche Fragen erneut aktuell. Seit Samstag gelten in Brandenburg Ausnahmen von den Quarantäneregeln für Berufspendler, Schüler und Studierende. Zulässig sind zudem im kleinen Grenzverkehr Aufenthalte bis zu 24 Stunden und Besuche bei nahen Verwandten bis zu 72 Stunden, ohne sich danach in Quarantäne begeben zu müssen.

Doch die grundsätzliche Frage bleibt: Ist es hinnehmbar, den durch schlechte Bezahlung verursachten Fachkräftemangel im Gesundheitswesen dadurch zu verringern, dass Personal aus Polen und damit aus einem Land abgeworben wird, das pro Einwohner nur halb so viele Ärzte hat wie die Bundesrepublik? »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - das ist eine richtige Forderung, aber damit ist es nicht getan«, meint Artur Pech. »Wo die Arbeitskraft eine Ware ist, unterliegt auch sie den Gesetzen der Preisbildung auf dem Warenmarkt. Damit haben wir auch in der Migrationsdebatte umzugehen.« Schließlich solle das preisdrückende Angebot der Ware Arbeitskraft erhöht werden, damit am Prinzip der Profitwirtschaft nicht gerüttelt werde. Solidarität mit Menschen, die einwandern, »bleibt unsere Position«, betont Pech. »Damit ist die Frage nach den Ursachen und den Wirkungen der Migration aber nicht erledigt.«

Nach Marx und Engels wird der Wert der Arbeitskraft bestimmt durch die Summe der Mittel, die der Arbeiter mindestens benötigt, um zu leben und Kinder als künftige Arbeiter aufzuziehen. Mal erhalte der Arbeiter weniger, mal mehr, im Durchschnitt jedoch genau diese Summe. Der Ire, der im Schweinestall schlafe, sei billiger als der Engländer, der das ablehne. Marx und Engels meinten, dass die Arbeiterklasse im Gegensatz zur Bourgeoisie keine nationalen Interessen habe. Die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln sollte die Lohndrückerei durch Einwanderung beenden.

Die Klassiker des Marxismus hatten die schlimmen Verhältnisse im 19. Jahrhundert vor Augen. Doch am Prinzip hat sich offensichtlich nichts geändert. Wer das Leseheft aufmerksam studiert, wird das erkennen - und kann es politisch gebrauchen.

»Marx und Engels über Migration«, 95 Seiten, zu bestellen per Tel.: (0 30) 64 90 37 57 oder E-Mail: kreistagsfraktion@dielinke-oder-spree.de

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -