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»Das fand ich diskriminierend«
Silvia Neid, ehemalige Nationalspielerin und Bundestrainerin, über 50 Jahre Fußball der Frauen
Sie haben einst mit fünf Jahren mit dem Fußballspielen begonnen. Erst kurz zuvor hatte der Deutsche Fußball-Bund das überhaupt Frauen und Mädchen erlaubt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Ich habe schon gegen den Ball getreten, als ich kaum richtig stehen konnte. Bei uns lag immer ein Ball herum, im Garten oder im Wohnzimmer, denn mein Vater und mein zwei Jahre älterer Bruder haben gut Fußball gespielt. Bevor ich mit elf Jahren in den Verein konnte, habe ich mit meinem Bruder und seinen Kumpels auf dem Bolzplatz gekickt.
Silvia Neid erlebte und gestaltete den Fußball der Frauen von Beginn an mit. In der BRD war er, im Gegensatz zur DDR, bis 1970 verboten. Fünf Jahre danach spielte sie als Elfjährige erstmals im Verein, gewann später als Bundesliga- und Nationalspielerin etliche Titel und führte dann das Nationalteam als Bundestrainerin zu Triumphen bei WM, EM und Olympia. Die 56-Jährige leitet heute die DFB-Abteilung Scouting, Spielanalyse und Diagnostik im weiblichen Bereich und sprach mit Frank Hellmann über sexistische Witze, Erweckungserlebnisse, Blockadehaltungen, verpasste Chancen und gute Aussichten.
War es schwierig, einen Verein zu finden? Bis 1970 war der Frauenfußball ja seitens des DFB noch verboten.
Damals gab es nur wenig Vereine, die Frauenfußball angeboten hatten. Zufälligerweise hatte der SV Schlierstadt eine Frauenmannschaft, das war nur 18 Kilometer von meinem Geburtsort Walldürn entfernt. Dort lebten meine Oma, mein Opa und meine Tante. Ich habe dann mit elf Jahren mit den Frauen zusammengespielt.
Fernsehbeiträge über den Frauenfußball strotzten lange Zeit nur so vor machohaften Sprüchen männlicher Reporter. Wie haben Sie das empfunden?
Ich fand das diskriminierend. Es wurde gelacht, wenn eine Spielerin hinfiel, die vielleicht nicht so gut trainiert war. Oder sexistische Witze. Und dann diese ständigen Fragen nach dem Trikottausch. Das war schon mehr als unpassend. Mir hat das nie gefallen.
Sie haben sich aber nicht abschrecken lassen und sind 1983 beim SSV Bergisch-Gladbach untergekommen, der damals den deutschen Frauenfußball dominierte. Nur haben Sie vermutlich keine 5000 oder 10 000 Euro verdient wie heute die besten Bundesligaspielerinnen?
Ich habe gar nichts verdient. Was man bekommen hat, waren Trainingsanzüge oder T-Shirts. Mein erstes kleines Gehalt habe ich zwei Jahre später beim TSV Siegen bekommen. Ich habe anfangs im Blumengroßhandel meines Vereinstrainers gearbeitet. Eigentlich war das eine ganz schöne Arbeit, weil ich auf 30-Stunden-Basis eingestellt war. Dafür hatte ich mehr Zeit zum Training, aber auch zur Pflege. Das war wichtig.
Warum?
In den 80er Jahren mussten auch wir Nationalspielerinnen alles selbst organisieren. Man hatte keinen Physiotherapeuten, der sich nach dem Training um einen gekümmert hat. Ich hatte für mich festgestellt, dass es gut wäre, montags immer frei zu haben. Da habe ich einen Regenerationslauf gemacht, mir über die Krankenkasse eine Massage geholt - und habe abends dann Badminton gespielt. Das war mein Schnelligkeitstraining.
Sie waren 1982 beim ersten Länderspiel des deutschen Nationalteams dabei und haben als Einwechselspielerin zwei Tore geschossen. Warum hat es so lange gedauert, bis der DFB eine Nationalelf aufgestellt hat?
Ich habe das das erste Mal realisiert, als der SSV Bergisch-Gladbach in Taiwan die erste inoffizielle Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Warum eine Vereinsmannschaft? Warum gibt es keine Nationalmannschaft? Und plötzlich hatte ich Post im Briefkasten. Der DFB hat damals je 30 Spielerinnen im Norden und im Süden zu einer Sichtung eingeladen - danach gehörte ich zu den 18 Fußballerinnen, die das erste Länderspiel bestreiten durften.
Haben Sie gespürt, dass viele DFB-Funktionäre beim Thema Frauenfußball lange eine Blockadehaltung einnahmen?
Das haben wir schon gemerkt. Es war beispielsweise selten, dass ein DFB-Präsident unsere Spielen besucht hat. Meines Wissens passierte dies das erste Mal, als wir bei der Europameisterschaft 1989 im Finale standen.
Für viele war der EM-Gewinn 1989 das Erweckungserlebnis für den Frauenfußball in Deutschland: ausverkauftes Stadion in Osnabrück, Liveübertragung im Fernsehen. Trotzdem gab es nur das berühmte Kaffeeservice vom DFB.
Ehrlich gesagt, war uns das in dem Moment nicht wichtig. Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel und die Leistung dafür anerkannt wurden und wir dafür ein Geschenk bekommen haben. In dieser Zeit ging es für uns einfach nur um ein Zeichen des Respekts. Dieses Kaffeeservice habe ich dann bei meinen Eltern gelassen, meine Mutter fand es richtig schön (lacht).
Auch Ihr Weg zur Bundestrainerin war steinig. Eine Schlüsselrolle hat Berti Vogts gespielt, der in seiner aktiven Zeit geringschätzend über den »Damenfußball« sprach.
Er war ja nicht der Einzige. Viele Männer haben einfach behauptet, dass Fußball für Frauen nicht gut wäre. Es wurde lauter Quatsch erzählt. Angeblich würden Frauen keine Kinder mehr bekommen, wenn ihnen der Ball in den Bauch geschossen wird und solches Zeug. Ich fand das unmöglich und hat mich wirklich geärgert. Umso mehr habe ich mich 1995 gefreut, als Berti Vogts angerufen und gefragt hat, ob ich mir eine Zukunft beim DFB als Trainerin vorstellen könnte.
WM-Sieg 2003 als Assistenztrainerin, WM-Triumph 2007 als Cheftrainerin, Bundesverdienstkreuz am Bande und Silbernes Lorbeerblatt: Hatten Sie endlich das Gefühl, dass der Frauenfußball akzeptiert ist?
Ja, ich hatte das Gefühl, dass unser Sport gesehen, akzeptiert und respektiert wird. Gerade. Unsere Erfolge haben ein sehr großes Medieninteresse ausgelöst. Ganz egal, ob ich danach zum Bäcker oder zur Tankstelle kam: Überall traf ich auf begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden.
Bei der Heim-WM 2011 entstand ein medialer Hype, der im Nachhinein für den deutschen Frauenfußball kaum zu händeln war.
Wir haben uns riesig gefreut über diese Aufmerksamkeit, nur haben wir alle nicht verstanden, diese Wertschätzung in die richtige Bahn zu leiten. Wir waren total überfordert: nicht nur das Team, die Trainer und der Staff, sondern der gesamte DFB. Wir wurden vorher förmlich durchs Land getragen, aber das hat so viel Druck ausgelöst, dass alle Spieler-innen und das Team ums Team psychisch belastet waren. Bei der WM 2007 in China waren auf unserer Etage im Hotel alle Türen offen, jeder hat mit jedem Spaß gehabt. Beim Turnier in Deutschland waren die Türen zu, weil jeder mit sich selbst beschäftigt war.
Deutschland hat sich gerade als Co-Ausrichter der WM 2027 beworben. Sie werden das Gesicht der Bewerbung. Warum ist es nicht gelungen, aus der WM 2011 einen nachhaltigen Effekt zu erzielen? Die Zahl der aktiven Fußballerinnen, gerade im Nachwuchsbereich, ist dramatisch rückläufig.
Als Leiterin der DFB-Abteilung Scouting, Spielanalyse und Diagnostik für den weiblichen Bereich beobachte ich die Entwicklung generell. Die Zahlen sind im weiblichen und männlichen Bereich rückläufig. Es gibt eben viele Angebote für Jugendliche, die heutzutage vieles ausprobieren. Wir müssen wieder Titel gewinnen, die Mädels brauchen Vorbilder. Und wir müssen dafür sorgen, dass jedes Mädchen Fußball spielen kann, ohne dass Papa dafür eine Stunde fahren muss.
Bei der WM 2019 fiel auf, dass in vielen anderen Ländern die Entwicklung im Frauenfußball dynamischer verläuft.
Wir sind aber seit Jahrzehnten auf einem ganz hohen Niveau! Es fällt bei anderen Nationen jetzt auf, dass sie diese oder jene Aktion veranstalten - aber wir machen vieles davon schon ganz lange. Ich finde, dass wir bessere Nachwuchsspielerinnen haben als viele andere. Und wir sind immer noch Weltranglistenzweiter. Wo sind denn die Skandinavier-innen? Welche Rolle spielt China noch? Wo ist Brasilien jetzt? Die haben alle den Generationswechsel mehr oder weniger verpasst.
Wenn sportlich alles noch so gut aussieht, warum kommt die Gleichberechtigung nicht richtig voran? Selbst Verbände wie Brasilien bezahlen ihren Frauen neuerdings dieselben Tagegelder wie den Männern.
Ich bin immer ein Freund von Gleichberechtigung, gerne hätte ich auch dasselbe Gehalt wie Jogi Löw gehabt (lacht). Aber man weiß auch: Ohne unsere Männernationalmannschaft, die dem DFB viel Geld einbringt, könnten der Juniorenbereich und die Frauen nicht existieren. Eine Angleichung wäre sicherlich verdient, aber ich kann mir auf absehbare Zeit nicht vorstellen, dass ein Frauennationalteam so viel Geld einspielt, dass der DFB davon leben könnte.
Wie dick sind heute noch die Bretter, die gebohrt werden müssen?
Die Menschen, die Frauenfußball nicht mögen, müssen wir nicht mehr überzeugen. Es wird denen immer zu langsam sein. Auch wenn sich taktisch und technisch viel entwickelt hat, wird man es nie mit den Männern vergleichen können. Aber das gilt für alle Sportarten, die beide Geschlechter betreiben.
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