- Kultur
- Freiheit der Kunst
Streitort Museum
Unbedingte Freiheit der Kunst? Oder moralische Integrität? So einfach ist es nicht
Seit einigen Jahren beginnt sich eine Entwicklung umzukehren, die prägend für die gesamte Moderne gewesen war. So waren Kunstmuseen allein auf Expansion angelegt; sie sammelten immer mehr Artefakte, die bis dahin nicht als kunst- oder zumindest nicht als museumswürdig gegolten hatten. Damit übernahmen sie das Prinzip, dem sich der Fortgang der Kunst selbst verdankte, galt doch auch hier in der Moderne, dass Artefakte gute Chancen darauf hatten, als Kunst anerkannt zu werden, wenn sie den bisherigen Maßstäben zufolge gerade keine Kunst waren. Immerhin waren sie dann am originellsten, oft auch am provokantesten. Zugleich war mit der Nobilitierung als Kunst ein emanzipatorischer Gestus verbunden: Etwas zuerst Geringgeschätztes hatte auf einmal so große Bedeutung, dass es über anderem stand, ja geradezu Immunität besaß. Kunst durfte alle Ansprüche ignorieren, die von außen an sie herangetragen wurden.
Genau deshalb war aber auch oft umkämpft, was zur Kunst erklärt und von Museen erworben werden sollte. Abstrakte Malerei, Readymades, Installationen von Joseph Beuys - das alles gelangte nur unter heftigen Widerständen ins Museum. Und es gab etwa noch großen Streit, als das Frankfurter Museum für Moderne Kunst Mitte der 90er Jahre Fotos der Benetton-Kampagne von Oliviero Toscani in seine Sammlung aufnahm: Werbung als Kunst - ging das nicht zu weit?
Mittlerweile aber laufen Debatten über Museen und ihre Bestände ganz anders ab. Nun geht es darum, ob etwas, das bisher im Museum seinen Platz hatte, nicht lieber von dort verschwinden sollte. Die Gründe dafür können unterschiedlicher Art sein. In einer Petition wurde 2017 vom New Yorker Metropolitan Museum gefordert, ein Gemälde von Balthus abzuhängen, da es ein Mädchen in einer stark sexualisierten Pose zeige und pädophile Neigungen bediene. In diesem Jahr wurde darüber gestritten, ob ein Gemälde von Georg Herold, welches das »N-Wort« schon im Titel trägt und das auch sonst recht unverblümt-klischeehaft ist, nicht rassistisch sei, zumindest aber »People of Color« brüskiere - und daher nicht mehr im Frankfurter Städel ausgestellt werden sollte. In anderen Fällen ist hingegen die Herkunft von Werken problematisch. Vor allem wird die Zeit des Kolonialismus allmählich genauer beleuchtet und man entdeckt, wie viele Museumsbestände eher erbeutet als rechtmäßig erworben wurden. Sollte man sie also nicht in die Länder zurückbringen, aus denen sie stammen?
Sosehr früher rein kunsttheoretische Diskurse darüber entschieden, was in die Museen Einlass fand, so sehr werden heute politische oder moralische Gründe geltend gemacht, um etwas aus ihnen zu verbannen. Man will, dass sich Museen stärker ihren Besuchern als nur der Kunst gegenüber verantwortlich fühlen, sich mehr als bisher als öffentlicher Raum begreifen, in dem, wie in anderen öffentlichen Räumen, Störungen des sozialen Friedens - Diskriminierung, Beleidigung oder Aggression - sanktioniert werden.
Dagegen opponieren diejenigen, die nach wie vor der Ansicht sind, Kunst genieße besondere Freiheitsrechte, dürfe, ja müsse sogar krass, provokant, durchaus auch mal verletzend sein, da sie sonst ihre potenziell gesellschaftsverändernden oder therapeutischen Kräfte nicht genügend entfalten könne. Kunst sei nicht dazu da, Rücksicht zu nehmen, sonst gebe sie ihr Ideal der Autonomie preis und werde schwach, beliebig, bloße Dienstleistung für die jeweils Herrschenden. Entsprechend wird bei jeder Kritik an einem Werk sogleich Alarm geschlagen, eine »Cancel Culture« befürchtet oder unterstellt, es stünden gewaltige Bilderstürme bevor, ja ein moralischer Furor würde bald durch die heiligen Hallen der Museen toben und kaum etwas an seinem Platz belassen.
Das aber ist nicht nur mächtig übertrieben, da niemand - wirklich niemand - eine völlige Revision des Museumskanons verlangt, sondern es zeugt auch von einer in ihrer Einseitigkeit bequemen, nicht selten sogar fundamentalistischen Haltung. Sie ist vergleichbar rüde-ignorant wie die Haltung eines Unternehmers, der ausschließlich der Logik des Kapitalismus folgt und daher kein anderes Ziel als das der schnellen Gewinnmaximierung kennt - egal, welche momentanen oder langfristigen Opfer das verlangt, egal also, ob deshalb Mitarbeiter unter Druck gesetzt, Ressourcen verschwendet oder Schädigungen des Klimas forciert werden. Genauso kennen die Verfechter unbedingter Kunstfreiheit nur das eine Ziel, Kunst allein als Kunst zu betrachten und zu feiern. Ob sie vielleicht gegen sonst übliche soziale, ökologische oder moralische Standards verstößt, interessiert sie nicht.
Wie aber Unternehmer, die alles den Kriterien des Kapitalismus unterwerfen, mittlerweile als unzeitgemäß erscheinen, und man von ihnen erwartet, mehrere Ziele gleichzeitig zu verfolgen und miteinander in Ausgleich zu bringen, also etwa sowohl Gewinn als auch Nachhaltigkeit anzustreben, so sollte man auch für Debatten über Kunstmuseen verlangen, dass die Akteure in mehreren Dimensionen denken. Sie sollten lernen, dass man Kategorien der Kunst nicht zwangsläufig zu missachten braucht, nur weil man zudem berücksichtigt, wie ein Werk auf verschiedene Teile seines Publikums wirken könnte, welche Provenienz es hat oder unter welchen Bedingungen es entstanden ist. Nachdem man bei vielen Konsumprodukten und erst recht bei der Beurteilung ihrer Qualität bereits ganz selbstverständlich soziale oder ökologische Kriterien einbezieht, sollte endlich - spät genug - auch bei Kunst so verfahren werden.
Es wäre ein erheblicher Gewinn, würde der Blick auf die Werke doch differenzierter; je mehr unterschiedliche Kriterien ins Spiel kämen, desto mehr Sensibilitäten prägten sich aus. Und das, was dann letztlich für gut befunden wird, ist es in umfassenderer Weise als bisher. Gerade von Kunst - von Artefakten, an die man höhere Ansprüche als an anderes stellt - sollte erwartet werden können, dass sie nicht nur in einer, sondern in möglichst vielen Hinsichten über Exzellenz verfügen, also nicht nur formal brillant, geistreich und überraschend, sondern zugleich frei von Diskriminierungen, besonders ressourcenbewusst und unter absolut fairen Bedingungen produziert sind.
Je mehr über Kriterien diskutiert wird, je mehr gerade die Museen sich ausdrücklich als Orte des Streits darüber begreifen, desto eher wird das, was in ihnen gezeigt wird, erst recht aber das, was neu an Kunst entsteht, vielfältig reflektiert sein und damit auch dichter, überzeugender als bisher. Im besten Sinne wird Kunst dann das sein, was man ihr schon immer gerne attestierte: Ausdruck ihrer Zeit.
Wolfgang Ullrich ist Kunsthistoriker. Zuletzt ist von ihm das Buch »Feindbild werden« beim Verlag Klaus Wagenbach erschienen.
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