Castorschiff hat Verspätung

Verschiedene Gruppen protestieren in mehreren Städten gegen einen Atommülltransport

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Defekt auf hoher See, Corona-Ausbruch bei der Mannschaft oder doch bloß Polizeitaktik? Rätselraten herrschte gestern beim Aktionsbündnis »Castor-Stoppen«. Das bereits für Samstagfrüh erwartete Schiff mit sechs Castorbehältern an Bord hatte bis zum frühen Sonntagnachmittag noch nicht den Hafen der niedersächsischen Kleinstadt Nordenham erreicht. Hier sollen die Castoren, die in der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield mit hochradioaktivem Schrott befüllt wurden und vorübergehend im Zwischenlager beim abgeschalteten AKW Biblis in Hessen untergestellt werden sollen, auf einen Zug umgeladen werden.

Am Dienstagabend war der Nuklearfrachter »Pacific Grebe« im englischen Hafen Barrow-in-Furness gestartet. Weil er sein Positionserkennungssystem AIS abgeschaltet hat, lässt sich die Fahrt von außen nicht nachverfolgen. Das AIS-System soll vor Kollisionen zwischen Schiffen schützen. Das Abschalten des System sei mit internationalem Seerecht nicht vereinbar, erklärt das Bündnis »Castor stoppen«. Es laufe deshalb eine Anzeige gegen den Schiffseigner.

Bei 14 Knoten Geschwindigkeit, die der Betreiber nennt, hätten sich drei Tage und acht Stunden Fahrzeit für den Schiffstransport ergeben. »Die errechnete Ankunft wäre damit am Samstagmorgen gegen fünf Uhr gewesen«, so das Aktionsbündnis. Ein Zug mit fünf Diesellokomotiven, die Spezialwaggons und ein Verladekran befinden sich bereits seit mehreren Tagen in Nordenham.

Ungeachtet der Verzögerungen haben Atomkraftgegner ihre angekündigten Protestaktionen gegen die Fuhre gestartet. Mit einer Aufsehen erregenden Kletteraktion am Bremer Hauptbahnhof demonstrierte am Sonntagmorgen Robin Wood. Fünf Kletteraktivisten der Umweltschutzorganisation waren über die Rückseite des Gebäudes auf das mehr als 30 Meter hohe Bahnhofsdach gelangt. Nach kurzem Kampf gegen die norddeutschen Windböen hängten sie ein 15 Meter langes Banner mit der Aufschrift »Kein Plan, nur Risiko! Castor stoppen« an die Fassade des historischen Bahnhofsgebäudes. Ein Polizeisprecher sagte, die Beamten würden die Aktion zunächst weiter beobachten, ein späteres Einschreiten sei aber nicht ausgeschlossen. Die Demonstranten auf dem Dach müssten mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs rechnen.

Bereits am frühen Sonntagmorgen hatte das Aktionsbündnis »Castor stoppen« auch seine Protestaktionen in Nordenham fortgesetzt. Wie schon am Vortag, versammelten sich Demonstranten am frühen Morgen zu einer Mahnwache am Hafen. Andere kurvten in einem mit Anti-Atom-Fahnen geschmückten Motorboot über die Weser. Auf dem Unicampus in Oldenburg begann Freitag um Mitternacht eine Mahnwache, wo sich Interessierte mit aktuellen Informationen versorgen konnten. In Göttingen hatte die örtliche Anti-Atom-Initiative bereits am Freitagnachmittag einen Infostand vor dem Bahnhof aufgebaut. Laute Musik schallte über den Platz, in weiße Schutzanzüge gekleidete und maskierte Demonstranten verteilten Flugblätter an Reisende.

Die Castoren enthalten hochradioaktive, in Glas eingeschmolzene Rückstände aus der Wiederaufarbeitung. Nach Sellafield sowie in die französische Wiederaufarbeitungsfabrik La Hague wurden bis 2005 abgebrannte Spaltelemente aus deutschen Atomkraftwerken gebracht. Die Bundesrepublik ist zur Rücknahme des Atommülls verpflichtet. Atomkraftgegner halten den Transport für unsinnig, so lange es in Deutschland noch kein Endlager gibt.

Robin Wood-Sprecherin Cécile Lecomte kritisierte in Bremen eine »planlose Atommüllverschieberei, die das Atommüllproblem nicht löst, aber Umwelt und Bevölkerung einem beträchtlichen Risiko aussetzt«. Den Atommüll mit einem gefährlichen Transport in ein unsicheres Zwischenlager zu bringen, um ihn in einigen Jahren mit einem erneuten Transport woanders hin zu verfrachten, sei verantwortungslos. Auch die Polizeigewerkschaft GdP und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatten sich gegen den Castortransport zum jetzigen Zeitpunkt gewandt. Ursprünglich war der Atommülltransport bereits für das Frühjahr geplant. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte ihn jedoch mit Verweis auf die Corona-Pandemie abgesagt.

Bis 2024 sind drei weitere Transporte hochradioaktiver Brennelemente aus Frankreich und England angekündigt. In den nächsten vier Jahren sollen insgesamt noch 25 Castoren nach Deutschland zurückgebracht werden - 20 aus Sellafield und fünf aus dem französischen La Hague. Außer Biblis werden dabei die Zwischenlager an den Atomkraftwerken in Philippsburg (Baden-Württemberg), Ohu (Bayern) und Brokdorf (Schleswig-Holstein) angefahren.

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