• Kultur
  • Corona und soziale Folgen

Der Winter unseres Missvergnügens

Ab Montag müssen alle Kultureinrichtungen auf Beschluss der Regierung schließen - es gibt Protest

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Ab diesem Montag müssen Theater, Opernhäuser, Konzerthallen und Kinos schließen - wie auch Gastronomie, Bars, Clubs, Bordelle, Sportvereine, Schwimmbäder, Saunen und was sonst der Körperpflege dient. »Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind«, heißt das auf Regierungsdeutsch. Die derart etikettierte Kulturbranche ist aufgebracht - zu Recht.

Nicht nur hat man in den vergangenen Monaten gefühlt jede drei Wochen ein neues Hygienekonzept umsetzen müssen, um letztlich trotzdem handstreichartig geschlossen zu werden, vor allem aber geht es um die Existenz. Nicht vergessen hat man zudem, dass auch in der Vergangenheit von Solidarität zwar viel gesprochen wurde, aber wenig passiert ist. Dass es nie wieder »wie vorher« werden wird, muss man Künstlern und sonstigen Kulturarbeitern nicht erzählen. Eine größere Kulturzerstörungsbedrohung kann man sich zurzeit kaum vorstellen. Der Jazzmusiker Till Brönner kritisiert in einem vielbeachteten Video, dass Bühnenkünstler sich trotz ihrer dramatischen Lage »auffällig verhalten und geradezu übervorsichtig« zu dieser Misere äußern. Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland fragt sich, wo der Aufstand gegen das »Kulturverbot« bleibe und forderte zum entschlossenen politischen Handeln auf. Und der Bundesverband Schauspiel fand in einem Offenen Brief deutliche Worte: »Diese Maßnahmen sind unsinnig. Wir können sie nicht mehr mittragen. Wir protestieren aufs Schärfste gegen sie!«

Warum trifft es die Kulturbranche so hart? Im Gegensatz zu Großbetrieben waren keine Fälle von Ansteckung bekannt geworden. »Die Antwort ist offenbar keine epidemiologische, sondern eine politische: Man will das Wirtschaftsleben am Laufen halten, und das Kulturleben fällt da nicht ins Gewicht«, kommentiert trocken die FAZ. »In einer Art von Taktgefühl hat Angela Merkel bei der Begründung ihrer Entscheidungen epidemiologische Argumente vorgeschoben, um die wirtschaftlichen und demographischen Überlegungen zu verbergen.« Den politischen Charakter dessen, was zurzeit geschieht, sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen. Das im Ausnahmezustand wiederkehrende Ideologem der Alternativlosigkeit leugnet, dass diese Krise auch anders zu handhaben wäre. Aus epidemiologischen Black Box des nicht mehr nachvollziehbaren Übertragungsgeschehens ein Argument gegen Kulturveranstaltungen, nicht aber Schlachthöfe, Fabrikhallen oder Shopping Malls zu machen, ist gelinde gesagt kaum nachzuvollziehen. Das könnten auch Gerichte hierzulande so sehen.

Dass der nun beschworene »Gesundheitsnotstand« nicht von irgendwoher kommt, dass die Intensivstationen in einem die vergangenen Jahrzehnte sich immer verschlechternden Gesundheitswesen im Herbst und Winter regelmäßig am und überm Limit waren, dass es einen »Pflegenotstand« gab, der von der Regierung nicht ausgerufen, sondern ignoriert wurde, dass derselben Regierung in den vergangenen Monaten offenbar nichts anderes eingefallen ist, als weiterhin Gesundheitspolitik mit Grundrechtseinschränkungen und ohne parlamentarische Kontrolle zu betreiben, dass nun jene die Folgen tragen müssen, die im bürokratischen Jargon »nicht systemrelevant« genannt werden, das nur am Rande. Es läuft darauf hinaus, ob das Kulturelle in dieser Gesellschaft überhaupt noch einen Wert haben soll - oder künftig als überflüssiges Freizeitgeplänkel gilt. Arbeit, Familie, Shopping, Fußball (nicht selbst spielen, nur schauen!) und Kirche, was gegenwärtig noch als »erlaubt« im Regierungssinne gilt, liest sich wie aus dem Drehbuch des Neokonservatismus.

Dass nun - wie es heißt - alle Opfer bringen müssten (die wirtschaftlich Schwachen freilich immer zuerst, und dann gleich ihre Lebensgrundlage), wäre nur vernünftig, wenn eine solche Tat Maß hielte mit ihrem Zweck. Ansonsten wird das Opfer zum Selbstzweck, zur Ideologie in einem sowieso dem Kulturellen feindlichen Kapitalismus. Dem nicht bloß Gehorsam zu leisten, und sich das zugleich noch - wie in Deutschland traditionell üblich - als Tugend zurechtzulügen, könnte ein Anfang sein, über einen weniger von Sozialchauvinismus und Konservatismus sowie Angst und Panik beherrschten Umgang mit der jetzigen, in vielerlei Hinsicht katastrophalen Situation nachzudenken. Und die von der Regierung vorangetriebene Politisierung der Wirtschaft und der Gesundheit als Herausforderung für eine bessere Lösung für alle zu begreifen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.