Kaczyński unter Druck

Der Frauenaufstand zeigt erste Wirkung, der Zuspruch schwindet

  • Holger Politt, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Proteste in Polen gegen das drohende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen erreichten am zurückliegenden Freitag den ersten Höhepunkt. Frauen aus ganz Polen kamen nach Warschau, wo über 100 000 Menschen zusammenfanden, um ungeachtet eines Corona-bedingten Versammlungsverbots ihre heftige Kritik am Regierungslager auszudrücken. Die Regierung hatte vorher versucht, die Menschen abzuhalten, in die Hauptstadt zu kommen. Das Coronavirus wurde angeführt, hartes Durchgreifen angedroht, martialisches Gerät aufgefahren. Kurz vor Beginn der Demonstration knickte die Regierungsseite jedoch ein, ließ nur erklären, dass die Menschen sich einer großen gesundheitlichen Gefahr aussetzten, wenn sie dem Protestaufruf folgten.

Die Speerspitze der Kritik richtet sich gegen die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und vor allem gegen den Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Die Frauenproteste haben sich inzwischen zu einer Bewegung entwickelt, die Kaczyński aus seiner politischen Rolle drängen will. Der Proteststurm zielt ins Herz der Nationalkonservativen, denn ohne ihren führenden Mann wäre es nie zu den Erfolgen in den Wahlschlachten der letzten Jahre gekommen. Kaczyński agiert seither aus dem Rückraum, ließ sich selten ganz nach vorne in die erste Linie locken, war damit beschäftigt, im Regierungslager für die nötige Ausgleichsbewegung zu sorgen. Kaczyński blieb mächtig, weil er sich keinem Risiko aussetzen musste.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Schoss die Opposition gegen ihn, wurde der unscheinbare Mann in seinem Parteibüro umso stärker. Niemandem gelang es, eine Bresche in Kaczyńskis Konstruktion zu schlagen. Und in den eigenen Reihen versuchte ohnehin jeder, einen Platz unter der Kaczyński-Sonne zu finden. Lief etwas in den Regierungsgeschäften nicht wie gewünscht, folgten sofort die gefürchteten Termine beim Parteivorsitzenden. Selbst Staatspräsident Andrzej Duda hatte seinen vorbestimmten Platz im feingesponnenen Netz.

Dudas Wiederwahl im Juli dieses Jahres bestätigte noch einmal das Kaczyński-System. Dieser hatte als Schwachstelle ausgemacht, dass der Zuspruch bei den jüngeren Wählerschichten deutlich schwindet, er mahnte an, sich darum zu kümmern. Die Frage seiner Nachfolge wollte er selber zügig regeln, doch kam es dabei zu heftigen Turbulenzen im Regierungslager, so dass Kaczyński schließlich im September den sicheren Platz aufgeben und in die Regierung eintreten musste, um die Streitigkeiten unter Kontrolle zu bringen. Nichts schien geeigneter, als einen äußeren Gegner vorzuführen, um im eigenen Lager für Ruhe zu sorgen.

Warum nun ausgerechnet die Frauenfrage hervorgeholt und zugespitzt wurde, bleibt bislang ein Rätsel. Angegriffen wurde eine bestens vorbereitete Kraft, die seit 2015 in den politischen Kämpfen gelernt hat, heftigem Gegenwind standzuhalten. Während Kaczyński auf ihm bekannte Gegner wartete, übernahmen junge Frauen hinten rum die öffentliche Bühne, öffneten mit ihrer Wut die Schleusen, noch bevor die Nationalkonservativen überhaupt reagieren konnten. Jetzt ist es zu spät, der Frauenaufstand hat mächtigen Zuspruch, der für die Regierenden längst bedrohliche Dimensionen angenommen hat.

Kaczyńskis verzweifelter Aufruf, die bedrohten Kirchen zu schützen, um sich selbst wieder in Vorhand zu bringen, ist ins Leere gelaufen. Primas Wojciech Polak erklärte am Wochenende, die Kirche brauche keinerlei Schutzschirm staatlicherseits, die Kirche benötige lediglich die richtige Balance zwischen Kirche und Staat, um das Evangelium verkünden zu können. Die Frauenproteste fordern das Regierungslager heraus, indem zum ersten Mal die Kaczyński-Frage gestellt wird.

Kommentar Seite 8

Der Autor leitet das Regionalbüro Ostmitteleuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.