Rebellischer Süden

Porto und Marseille treffen sich zum Gipfel der Wehmut

  • Sven Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Gegenwart heißt München, Manchester, Madrid - aber begonnen hat alles mal mit Marseille. Die Champions League war ja nicht immer ein elitärer Zirkel mit den immer selben Siegern. Von den bisher 28 Titeln gehen 25 in die vier großen Ligen nach Spanien (12), England (5), Italien (4) und Deutschland (4). Spektakuläre Ansetzungen der diesjährigen Vorrunde lauten Juventus Turin - FC Barcelona oder Inter Mailand - Real Madrid. Der Gipfel der Wehmut aber steigt an diesem Dienstag im Estádio do Dragão. Dort duellieren sich der FC Porto und Olympique Marseille - der größte Überraschungssieger und der erste überhaupt.

ZIRKUS Europa
Früher schlicht Pokal der Landesmeister genannt, ist die Champions League heute inszeniertes Spektakel und Gelddruckmaschine des Fußballs. Ein Blick auf den kommenden Spieltag.

Dass Porto im Mai 2004 im Finale gegen Monaco siegte, ist noch nicht ganz in Vergessenheit geraten, weil damit die Trainerkarriere des José Mourinho so richtig begann. Wer aber erinnert sich noch an das Schicksal von Olympique Marseille? 1993 gewannen die Franzosen die Inauguration des großen Geld-Zirkus’, im Jahr danach stiegen sie in die zweite Liga ab. Das Finale fand in München statt, ein Deutscher hat auch mitgespielt: Rudi Völler durchlief schon die späte Phase seiner Karriere, als OM im Olympiastadion den AC Milan besiegte. Ein gutes Vierteljahrhundert ist das jetzt her, und die Hybris rund um den Triumph hätte den Klub beinahe die Existenz gekostet.

Als die Champions League in der Saison 1992/93 den Europapokal der Landesmeister ablöst, ist das noch ein sehr luftiger Wettbewerb. Die Teilnahme ist ausschließlich Landesmeistern vorbehalten. Nach zwei Qualifikationsrunden spielen acht Mannschaften in zwei Gruppen die Finalisten aus. Marseille qualifiziert sich gegen Glentoran Belfast, Dinamo Bukarest, Glasgow Rangers, ZSKA Moskau und den FC Brügge für München. Im Finale erzielt Marseilles Verteidiger Basile Boli das Tor des Abends. Die Münchner Zuschauer feiern »Ruuuudiiii« und die 25 000 mitgereisten Franzosen den größten Erfolg in der Geschichte des französischen Klubfußballs.

Ein paar Wochen später kommt heraus, dass Marseilles Klubchef Bernard Tapie seiner Mannschaft eine ganz besondere Vorbereitung auf das Finale verschrieben hatte. Um sich zu schonen und doch problemlos die nationale Meisterschaft zu gewinnen, hat Olympique für 250 000 Franc einen 1:0-Sieg im Ligaspiel gegen US Valenciennes erkauft. Tapie wird zu zwei Jahren Haft und einem dreijährigem Funktionsverbot verurteilt, Olympique in die zweite Liga zwangsversetzt. Später ist auch die Rede von dubiosen Dopingspritzen, die mit Ausnahme von Rudi Völler alle Spieler vor dem Münchner Finale bekommen haben sollen.

Völler hat keine Lust auf die zweite Liga und wechselt noch einmal in die Bundesliga zu Bayer Leverkusen. Für Olympique brechen schwere Jahre an. Der Klub rettet sich mit Mühe und Not vor dem finanziellen Ruin, schafft es zurück in die Ligue 1 und muss doch eine gefühlte Ewigkeit warten, bis er 2010 mal wieder die Meisterschaft feiern darf. Zwar ist OM immer noch der populärste Klub des Landes - das Herz des französischen Fußballs schlägt im rebellischen Süden. Und doch spielt die mit arabischen Ölmillionen gepamperte Konkurrenz von Paris Saint-Germain mit ihren finanziellen Möglichkeiten in einer anderen Liga.

PSG schaffte es 2020 bis ins Finale der Champions League gegen den FC Bayern München. Für OM ist es schon ein Erfolg, dass es in dieser Saison mal wieder zur Teilnahme an der Gruppenphase reicht, zum ersten Mal seit sieben Jahren. Nach zwei Niederlagen gegen Olympiakos Piräus und Manchester City wartet die Mannschaft des portugiesischen Trainers André Villas-Boas aber immer noch auf ihr erstes Tor. Auch für Villas-Boas wird das Spiel am Dienstag im Estádio do Dragão ein Rendezvous mit der Vergangenheit. Mit dem FC Porto hat er in seiner ersten Saison die Europa League gewonnen. 2011 war das, lange her.

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