- Kultur
- „Maria Stuart“
Machtspielchen
Kurz vor Schluss: Am Deutschen Theater Berlin feierte »Maria Stuart« am Freitagabend Premiere
Am Ende ist sie ganz allein, die zaudernde Regentin. »Ach«, haucht sie noch, die vom Ränkespiel Ermüdete, bevor das Licht ausgeht. Hat sie die Tragödie ihrer Herrschaft nun verstanden? Oder drückt es eher ihr Unverständnis gegenüber den Vorgängen aus, in denen sie - Elisabeth, Königin von England - doch immerhin im Zentrum stand? Wir wissen es nicht. Die Regisseurin Anne Lenk lässt mit ihrer Deutung von »Maria Stuart« einige Fragen offen. Premiere feierte die Inszenierung am Freitagabend im Deutschen Theater, unter den Augen der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien Monika Grütters, die die tags zuvor im Bundeskanzleramt beschlossenen Schließungen als »echte Katastrophe für die Kultur« bezeichnete. Neben ihr sitzend der Intendant des Deutschen Theaters und Präsident des Deutschen Bühnenverbands Ulrich Khuon, der »Kultur mehr als Freizeitgestaltung« nannte und vor einem »kulturellen Kahlschlag ohne Beispiel« warnte. Auftritte auf der Bühne der Öffentlichkeit als Aussagen im Politischen zu deuten, das kann das Theater lehren. Aber zugleich lehrt es, die Handelnden als von überindividuellen Zwängen Eingehegte und Beengte zu begreifen.
Diese Beschränkungen des Möglichen zeigt die von Judith Oswald entworfene Bühne, ein an der Rampe hochaufragender dreietagiger Setzkasten in Pink, der die Figuren zugleich trennt und ordnet. Jede und jeder ist auf seiner eigenen kleinen Bühne. Die gerasterte Anordnung weckt Assoziationen an die in den vergangenen Monaten epidemisch sich verbreitenden Videokonferenzen mit ihren Splitscreens. Ganz unten haust die eingesperrte Maria Stuart, Königin von Schottland. Franziska Machens im weißen Unschuldskleid hat wenig Spielraum. Wenn Sie die Highheels anlegt, stößt sie fast an die Decke - ebenso wie ihr aufrechter Bewacher (Paul Grill). Elisabeth in der Mitte hat ihrem Amt gemäß das größte Abteil, auch wenn die zarte Julia Windischbauer in diesem geradezu verloren wirkt. Rechts und links, wie bei einem mittelalterlichen Altarbild, reihen sich die Berater auf, der kalte wie knallharte Politiker Burleigh (Enno Trebs), der durchtriebene Doppelagent der Herzen Leicester (Alexander Khuon), der äußerlich um Ausgleich bemühte Shrewsbury (Jörg Pose) oder der tragische Laufbursche Davison (Caner Sunar). So ist der ganze Hof in einem einzigen Arrangement, in einem Bild gebannt.
Der Bühnenkasten verstärkt den kammerspielartigen Eindruck, nahezu ohne Pausen wechseln die Szenen, das Stück nimmt Tempo auf, in weniger als zweieinhalb Stunden hat das Trauerspiel den eingangs erwähnten Schlussseufzer erreicht. Der strenge und geschlossene Aufbau zeigt außerdem, was der Unterschied zwischen den barocken Trauerspielen eines Andreas Gryphius und den bürgerlichen von Lessing oder eben Friedrich Schiller ist: Das Außerweltliche verschwindet zugunsten eines in sich motivierten Zusammenhangs, die Erkenntnis der Immanenz der bürgerlichen Gesellschaft fällt zusammen mit der zu neuer Größe geführten Dramenform. Hier werden Handelnde gezeigt und der Abgrund zwischen Himmel und Erde tut sich ausschließlich im Gefälle von Absicht und Folge auf. Nicht göttliche, sondern soziale Gesetzmäßigkeiten sind es, die zum Niedergang des Einzelnen wie des Gemeinwesens führen. Und mögen die Berater das Geschehen befeuern oder bremsen, es gibt eine alleszermalmende Trägheit, die vom zugrundeliegenden Verhängnis ausgeht. Wirkung ist alles in diesem Spiel der Täuschungen und Enttäuschungen. Und die Wahrheit? Verschwindet im Kampf der Interessen. Ungelegen kommt sie zudem eigentlich immer - oder zu spät.
Maria Stuart, die Titelheldin, ist zwar die Gefangene. Doch wirkt sie weit freier. Machens spielt die Schottenkönigin als Überlegene - rhetorisch, intellektuell, habituell und sexuell. Sprechen andere, schneidet sie Grimassen, ironisiert das Gegenüber. Als langweile es sie, als wäre sie schon zwei Gedanken weiter, verhindert nur durch das Eingesperrtsein. Sie bietet eine Klaviatur von Gesichtsausdrücken und Tonlagen an, eine versierte Spielerin mit Sprache und Auftritten. Als sie dann einmal ihre Zelle verlassen darf und im Zentrum auf ihre Gegenspielerin trifft, genießt sie es - man bekommt die Ahnung, dass sie allein wohl das Format hätte, einen solchen Raum auf Dauer auszufüllen. Ganz im Gegenteil Windischbauer als Elisabeth, die sich mit Vorliebe an den Wänden herumdrückt, nervös ihre Hände knetet, betreten die Augen niederschlägt, sich an ihrem Rock festklammert, um von solcher Präsenz nicht um- oder hingerissen zu werden. Eine schwache Herrscherin, abhängig von öffentlicher Meinung, ihren Beratern und nicht zuletzt ihrem skrupulösen Gewissen. Hier ringen auch Protestantismus und Katholizismus miteinander, nicht nur zwei Schwestern. Vor allem aber möchte Elisabeth den Tod der Frau, die ihre Herrschaft bedroht - im Hintergrund geht es um den Anspruch auf die englische Krone -, nur möchte sie ihn nicht verantworten. Tyrannisch wird sie, weil sie rechtschaffen erscheinen will. Sie träumt schon den Traum aller Apparatschiks und Technokraten, der Entlastung von Politik als Zwang zur Entscheidung. Es wird allerdings auch für sie ein Albtraum. Meist versteckt sie sich hinter einer Maske ihrer selbst, mit der sie dann so viele Regungen zeigt wie die Kanzlerin beim Verkünden der neuesten Isolationsmaßnahmen für die Bevölkerung.
Wie schon in ihrer Inszenierung von Molières »Der Menschenfeind« am gleichen Haus, beeindruckt die präzise Sprachregie von Lenk. Und ihre Begabung zur Komik. In Schillers Trauerspiel und dessen großartigen Dialogen findet sie eine Menge Pointen, die vor schalem Pathos schützen, ohne den Ernst zu verraten. Gerade der von Jeremy Mockridge gespielte Mortimer, der naive Fanatiker, der die von ihm heiß geliebte Maria Stuart zu befreien gedenkt (sie wiederum lehnt dann angewidert ab), ist mit seinen wie Windmühlenflügel durch die Luft rotierenden Armen und den weit aufgerissen Augen nahe an der Karikatur, ohne dem nachzugeben. Das Publikum quittiert es mit Gelächter. Und auch die übertrieben stilisierten Kostüme von Sibylle Wallum, mehrere Zeitalter britischer Mode zitierend, geben den Figuren ein Rahmen, der das Ernsthafte und Bedeutungsvolle mildert, ohne es preiszugeben. Drei Vorstellungen waren diesem Abend mit seinem begeisterndem Schauspielertheater vorerst nur vergönnt. »Die Welt hat andre Sorgen«, um es mit Elisabeth zu sagen. Das gilt wohl zunächst auch fürs Theater.
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