Körper im Wandel
Trotz Lockdown: Das Festival »Theater der Dinge« findet statt - im Netz und mit Distanzformaten
Bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals »Theater der Dinge« bearbeitet die Berliner Schaubude künstlerisch das Feld der digital und analog manipulierten Leiber. »Künstliche Körper« lautet das Thema. Das Festival findet trotz der Schließungen statt, zumindest all jene Programmpunkte, die schon im Voraus als pandemiekonform angelegt waren oder noch schnell auf Distanzmodus umgebaut werden konnten.
Eine zentrale Rolle spielen bei diesem Festival des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters die Roboterkörper. Roboter sind als mechanische Apparate ohnehin nahe an den Puppen und Figuren, die dieser Theatersparte ihren Namen gaben. »In der Beschäftigung mit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine tauchen oft ähnliche philosophische, ästhetische und technische Fragestellungen auf, mit denen sich auch die Puppenspieler*innen in ihrem Metier auseinandersetzen«, beobachtete Tim Sandweg, der künstlerische Leiter der Schaubude und Kurator des Festivals. Nicht nur beim Animieren von Puppen und beim Programmieren von Robotern ähneln sich die Aufgaben. Auch die Rezeption, also das Übertragen von emotionalen Zuständen und charakterlichen Eigenschaften auf die Objekte, weist Analogien auf. So gesehen ist Puppentheater eine Urform des Erkundens der Mensch-Maschinen-Kommunikation.
Mit dem Verhältnis von Robotern und Menschen beschäftigt sich die Wiener Forscher*innengruppe H.A.U.S. (Humanoids in Architecture and Urban Spaces) bereits seit einigen Jahren. In der Performance »Dingwesen« interagiert die Tänzerin Eva-Maria Kraft mit dem Roboter Pepper, einem humanoiden Roboter. Für die Performance »hackte« sich die Gruppe in den Roboter und umging so die Sperre, die Pepper eine physische Berührung mit Menschen untersagte. Ein bizarrer Aspekt der Interaktion ist, dass der Roboter über ein Touchpad auf Brusthöhe verfügt, über das mit ihm kommuniziert werden kann. »Es geht auch um das Ausloten solcher Situationen, was es bewirkt, wenn man bei einer menschenähnlichen Figur auf Brusthöhe herumtatscht«, stellte Sandweg dieses Detail heraus. Die Performance findet in Wien statt. Sie wird von drei Live-Kameras aufgenommen und über Zoom gestreamt. »Dingwesen« war von Beginn so geplant, weil die Künstler*innen schon wegen der früheren Bestimmungen nicht hätten anreisen dürfen.
Die Performance »Joe 5« der Duda Paiva Company war hingegen als Event mit Live-Publikum in einem Theaterraum gedacht. »Jetzt wird die Geschichte in Form eines Filmes aus der Perspektive des Protagonisten erzählt. Es ist also mehr als nur ein Videostream der Aufführung, sondern vielmehr eine künstlerische Weiterbearbeitung«, wirbt Sandweg für die neue Version. In »Joe 5« ist das Verhältnis von Mensch zu Roboter und Künstlicher Intelligenz umgedreht. Der menschliche Protagonist erfährt, dass er lediglich das Geschöpf einer Alienpopulation ist.
Auf ganz andere künstliche Körper hat es der Künstler Fabian Raith abgesehen. In seinem Augmented-Reality-Walk »Nur für einen Tag«, der die Greifswalder Straße in Berlin entlang bis hin zum Ernst-Thälmann-Park führt, bezieht er Skulpturen im öffentlichen Raum wie den Schädel des KPD-Vorsitzenden Thälmann mit ein. »Es geht ihm um die Macht, die solche Körper im Stadtraum ausüben. Zugleich fasst er die Daten, die von Digitalnutzern erzeugt werden, zu Datenkörpern zusammen und bringt sie in Beziehung mit diesen realen Körpern«, erzählt Sandweg. Der Walk wird täglich angeboten. Man muss sich die Software lediglich aufs eigene Android-fähige Endgerät herunterladen.
Pandemiekonform ist auch »Wir müssen reden« von Anna Kpok. Teilnehmende bekommen hier zuvor per Post ein Buch und Spielfiguren zugestellt und kommunizieren dann mit den Performer*innen anhand der Spielanweisungen im Buch über das große Thema Körper und Macht - dezentrales Objekttheater also.
Das Figurentheaterfestival »Theater der Dinge« geht vom 3. bis 10. November. Informationen zum Programm finden sich auf der Internetseite der Schaubude Berlin.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.