Milliardenschaden für Wirtschaft und Klima
Handel und Solarwirtschaft warnen vor Reform der Ökostromförderung
Dass Rewe nicht nur Lebensmittel, sondern auch Strom verkauft, dürfte den meisten Kund*innen des Einzelhandelskonzerns verborgen geblieben sein. Denn die Energie-Handels-Gesellschaft (EHA), eine Rewe-Tochter, verkauft Ökostrom vor allem an eigene Filialen, an andere Einzelhändler wie die Textilkette AWG Mode und an Bäckereien.
Zwar kauft das Hamburger Unternehmen den überwiegenden Teil des Stroms von Stadtwerken, doch seine Erzeugungsanlagen baut es stetig aus. »Wir haben in den vergangenen Jahren einiges beim Erneuerbaren-Ausbau gemacht«, sagt Jan-Oliver Heidrich, Geschäftsführer der EHA und Vorsitzender im Energieausschuss des Handelsverbandes Deutschland. Vor allem Anlagen mit einer Nennleistung bis 750 Kilowatt habe das Unternehmen auf Dachflächen von Lagern und Märkten installiert.
Doch das könnte sich mit der kommenden Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bald ändern. Bisher müssen sich nur Anlagen ab 750 Kilowatt an einer staatlichen Ausschreibung beteiligen, wenn sie eine Vergütung nach dem EEG in Anspruch nehmen wollen. Der Regierungsentwurf zum neuen EEG, den das Bundeswirtschaftsministerium Mitte September vorgelegt hat, sieht vor, die Ausschreibungsgrenze auf 500 Kilowatt abzusenken. »Wir sind entsetzt, dass das Ministerium das Segment, das für den Einzelhandel am lohnenswertesten ist, derart beschneiden möchte«, sagt Heidrich. Wenn das Gesetz so beschlossen werde, werde der Einzelhandel künftig nur noch kleine Anlagen bis maximal 499 Kilowatt installieren.
Zugleich will das Ministerium es unterbinden, dass der Eigentümer den Solarstrom auch künftig selbst nutzen kann. Wer für eine Solaranlage mit mehr als 500 Kilowatt Leistung die EEG-Förderung erhält, soll verpflichtet werden, seinen Strom ins Netz einzuspeisen. Dabei ist der Eigenverbrauch des erzeugten Solarstroms für viele Firmen der eigentliche Grund zur Investition in eine Anlage. Wer künftig seinen Strom selber nutzen will, muss den Rest umständlich selbst verkaufen. Das scheuen die Unternehmen aber.
Dabei braucht es für die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien auch den Bau von Photovoltaikanlagen auf möglichst vielen Dächern - wie eben denen von Gewerbetreibenden. Erschwert nun aber die EEG-Reform den Ausbau dieses Segments, droht bis 2030 ein volkswirtschaftlicher Schaden von 7,7 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt das Bonner Markt- und Wirtschaftsforschungsunternehmen EuPD Research in einer Kurzstudie für den Bundesverband Solarwirtschaft (BSW). Schon 2021 würde demnach die jährlich neu installierte Solarstromkapazität auf größeren Gewerbedächern um zwei Drittel einbrechen.
Rund 850 Megawatt wurden 2019 insgesamt in diesem Segment installiert, auch in diesem Jahr rechnet der BSW noch mit einem Zubau von 800 Megawatt. Vom nächsten Jahr an wäre das vorbei - auch weil das Wirtschaftsministerium ab 2021 nur 250 Megawatt ausschreiben will. Viel zu wenig, warnen der Solar- und der Handelsverband. Die Novelle würde dazu führen, dass allein im Segment von 500 bis 750 Kilowatt ein Zubau von Solaranlagen mit 4200 Megawatt Gesamtkapazität ausbleiben würde. Der Solarwirtschaft entgingen 3,2 Milliarden Euro und es kämen weniger Menschen in Beschäftigung. Weil Milliarden an Kilowattstunden Solarstrom nicht erzeugt würden, entstünden zudem 4,5 Milliarden Euro an Umweltkosten.
»Anders als bei ebenerdigen Solarparks sind Auktionen im Gebäudesektor kein geeignetes Instrument zur Vergabe von Marktprämien«, warnt deshalb Studienautor Martin Ammon. Die Ausschreibungen würden hier ungenutzt bleiben, da die Teilnahme an Auktionen für Gebäudeeigentümer zu aufwendig sei.
In den vergangenen Wochen hagelte es Kritik an der geplanten EEG-Reform. Eigentlich soll die Novelle helfen, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern - 2019 waren es 43 Prozent. Doch der jetzige Entwurf berücksichtigt die Ausbauziele gar nicht, klagt Carsten Körnig vom Solarverband BSW. Wenn sich bei den Ausschreibungen nichts ändere, komme der Solarausbau über die jetzigen 2000 Megawatt pro Jahr nicht hinaus, dabei brauche es 10 000 neue Megawatt jährlich. »Diese solare Vollbremsung ist mit den Klimazielen und der Energiewende unvereinbar«, so Körnig.
Schon am vergangenen Freitag war die EEG-Reform Stein des Anstoßes. Das Gesetz wurde in erster Lesung im Bundestag behandelt, etliche Institutionen und Verbände wiederholten ihre Kritik. Noch im November sollen Bundestag und Bundesrat ihre Änderungen beschließen, damit das Gesetz Anfang 2021 in Kraft treten kann. Weil aber die Abgeordneten in beiden Kammern erhebliche Bedenken haben, ist offen, ob der Zeitplan eingehalten werden kann.
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