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Dezentral an die Zentrale
Präsenz- oder Onlinewahl - Parteivorstand der Linken berät Alternativen für verschobenen Wahlparteitag
Eigentlich sollte nach den ursprünglichen Planungen jetzt bereits eine neue Führung der Linkspartei gewählt sein, mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow standen aussichtsreiche Kandidatinnen bereit. Doch der Parteitag wurde verschoben, wegen Corona. Am Sonnabend will der Vorstand der Linken nun beraten, wie es weitergehen soll. Das Parteiengesetz verlangt zwingend alle zwei Jahre die Wahl eines neuen Vorstands, und zwar auf einem Parteitag. Unter dem Eindruck der Coronakrise verabschiedete der Bundestag eine Sonderregelung, mit der die alten Vorstände unter den jetzigen Krisenbedingungen länger im Amt bleiben können. Diese ermöglicht zudem auch ein elektronisches Aufstellen von Kandidaten. Die »Schlussabstimmung über einen Wahlvorschlag« umfasst die Erlaubnis allerdings nicht.
Zur Auswahl steht nun neben einem normalen Präsenzparteitag eine abgespeckte Corona-Variante in parallelen Veranstaltungen und - drittens - ein Onlineparteitag. Die in der CDU diskutierte Onlinewahl einer neuen Parteispitze wird in den aufgeführten Möglichkeiten, die Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler den Mitgliedern des Parteivorstands zugeleitet hat, nicht erörtert. Diese werde aktuell nicht erwogen, da sie nach derzeitigem Stand entweder nicht manipulationssicher oder nicht sicher anonym sei, teilte Schindler auf nd-Anfrage mit.
Doch auch ohne die Onlineabstimmung sind die möglichen Varianten voller Unwägbarkeiten. Wer Parteitage kennt, kann sich schwer vorstellen, wie die Wahl eines neuen Vorstands ohne die Anwesenheit aller Delegierten ablaufen soll. Er hat die Schlangen an den Rednerpults vor Augen, das Ringen der Vorstandskandidaten um Delegiertenstimmen, aber gerade bei der Linkspartei auch die Auflagen hinsichtlich geschlechtlicher Quotierung von Rednern wie Kandidaten, der Zugehörigkeit der Kandidaten zu Strömungen, Zusammenschlüssen, Landesverbänden in Ost und West. Nachvollziehbar ist deshalb das Zögern von Vorstandsmitgliedern, sich einen Parteitag in kleinen Häppchen vorzustellen - eine dezentrale, gleichzeitige Zusammenkunft der Delegierten in ihren jeweiligen Bundesländern also.
Die Wahlergebnisse würden in einem solchen Fall jeweils an den zentralen Parteitagsort geliefert und dort zusammengezählt. Die dritte Variante wäre der Online-Parteitag, auf dem die Delegierten alle Debatten und Entscheidungen auf digitalem Weg vollzögen - außer die Wahlentscheidungen. Die könnten per Briefwahl im Anschluss erfolgen. Die Wahl eines neuen Vorstands per Brief - mit Wiederholungen, etwa, wenn es zu Stichwahlen kommt - ist voller Unwägbarkeiten. Sie könnte mehrere Wochen dauern, wie Jörg Schindler es in seinen Erörterungen für die Vorstandsmitglieder vorrechnet.
Ralf Krämer, Mitglied des Vorstands, spricht sich klar für einen Präsenzparteitag aus, auch, wenn er derzeit schwer vorzubereiten sei. Er beruft sich auf Gespräche innerhalb der Sozialistischen Linken: »Wir würden einen Präsenzparteitag allen anderen Varianten vorziehen. Wir brauchen Diskussionsmöglichkeiten, die Delegierten müssen die Kandidaten hören und für den Vorstand befragen können. Eventuell müssen zwei oder drei Termine vorbereitet werden, um diesen Parteitag so bald und so sicher wie möglich durchführen zu können.«
Auch Lucy Redler hebt die Bedeutung einer fundierten Debatte mit Rede und Gegenrede bei Kandidaturen, aber auch über inhaltliche Themen, hervor. Eine gute Debatte ist für sie nur auf einem Präsenzparteitag denkbar. Und neben den Verzögerungen bei den verschiedenen Wahlgängen sieht sie in der dezentralen Übermittlung von Wahlergebnissen auch Risiken. »Der Vorstand könnte die Arbeit dank der Möglichkeit, die der Bundestag mit der Änderung des Parteiengesetzes geschaffen hat, erstmal fortsetzen.«
Im März ist in Bielefeld eine Halle für einen Großveranstaltung der Linken seit Langem bestellt. Und im Juni soll ein Parteitag über das Bundestagswahlprogramm entscheiden. Doch so lange soll es möglichst nicht dauern mit dem Führungswechsel, finden die meisten. Ziel müsse es sein, zu einer Wahl des neuen Vorstands in vertretbarer Zeit zu kommen, meint auch Janine Wissler, eine der Kandidatinnen für den Vorsitz. Auch sie hat noch »offene Fragen« zu den Tücken der Details. Die Fraktionsvorsitzende in Hessen hofft dennoch auf eine Einigung am Samstag. »Die Lage wird sich absehbar nicht so schnell ändern. Es wäre schon gut, wenn der Vorstand zu einer Entscheidung kommt.«
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