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Hightech-Campus statt Luftnummer
Die Urban Tech Republic soll würdige Nachfolgerin des Tegel-Airports werden.
Ab Sonntag Nachmittag kehrt Ruhe ein am Himmel über Tegel. Der Fluglärm, der bis dahin von dem hier 1948 errichteten Flughafen ausging, verstummt. Neun Jahre, solange wie sich der neue Hauptstadtflughafen in Schönefeld verzögert hat, mussten Anwohner im Umfeld und entlang der Einflugschneisen darauf warten. Nur die Hubschrauber der Flugbereitschaft der Luftwaffe, die vorerst am bisherigen Regierungsflughafen nördlich der Start- und Landebahnen verbleiben, werden noch einige Jahre länger knattern.
Im Vordergrund steht fortan die Nachnutzung eines Areals, das Berliner Nachkriegsgeschichte geschrieben hat - der Flughafen Berlin-Tegel »Otto Lilienthal« (TXL) ist Geschichte. Die Zukunft heißt Campus Berlin TXL. Die Hauptstadt soll hier einen vollkommen neuen Stadtteil erhalten - mit der Urban Tech Republic einen Wissenschafts-, Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien und mit dem Schumacher-Quartier ein zukunftsweisendes Wohnviertel für rund 10 000 Menschen. Zudem erhält auch die Natur Flächen zurück, es entstehen Freiräume für Erholung und Sport.
- Die Jungfernheide wurde auch militärisch genutzt, ab 1900 vom 1. Preußischen Luftschiffer-Bataillon, ab 1930 als Raketenschießplatz.
- 1948 errichtete die französische Besatzungsmacht zur Unterstützung der Luftbrücke einen Militärflugplatz.
- Am 2. Januar 1960 nahm die Air France den zivilen Linienflugverkehr in Tegel auf.
- 1968 begann der Umzug aller Charterfluggesellschaften von Tempelhof nach Tegel.
- 1974 öffnete der Flughafen-Neubau mit dem sechseckigen Terminal A, entworfen von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg.
- Inklusive aller Anbauten erreichte Tegel eine Nennkapazität von zehn Millionen Passagieren pro Jahr.
- 2019 wurde eine Spitzenauslastung von 24,2 Millionen Passagieren bei 193 615 Flugbewegungen erreicht.
- Seit 1948 wurden nach Angaben der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg in Tegel 6,5 Millionen Starts und Landungen absolviert, eine halbe Milliarde Fluggäste und 375 Millionen Stück Gepäck abgefertigt. tm
Dass die Zukunft von Tegel ausgerechnet im brandenburgischen Schönefeld eingeläutet wurde, mag Anhängern des City-Airports im Nordwesten Berlins besonders weh tun. Doch mit der Einweihung der zweiten Startbahn des neuen Hauptstadtflughafens BER und dessen Übergang zum Regelbetrieb begann am Mittwoch am anderen Ende der Stadt der Countdown für die 180-Tage-Frist, bis die Betriebsgenehmigung des Flughafens Tegel aus verwaltungsrechtlichen Gründen endgültig erlischt. Zum anderen schlägt auch die Stunde der Tegel Projekt GmbH, die am 5. Mai 2021 von der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg nach Rückbau aller sicherheitsrelevanten Anlagen die Schlüssel für den entwidmeten Airport übernimmt.
»Wir haben viel geplant und lange auf unsere Starterlaubnis gewartet, aber nun stehen alle Zeichen auf Grün, um Berlin TXL, eines der größten Entwicklungsprojekte Europas, in die Umsetzung zu bringen«, erklärte Tegel-Projekt-Chef Philipp Bouteiller. »Auf 500 Hektar wird hier eine Stadt der Zukunft entstehen, sozial, nachhaltig, hoch innovativ, mit dem wahrscheinlich größten Holzbau-Quartier Europas.« Dennoch ist Geduld angesagt, denn obwohl die Pläne fertig seien und das Nutzungskonzept stehe, werde man 2021 bestenfalls mit den Vorbereitungen für den ersten Bauabschnitt beginnen, heißt es.
Für alle Interessierten wird nach der Übergabe des Geländes an die Tegel Projekt GmbH ein Infocenter im Flughafen-Verwaltungsgebäude eingerichtet. Ein erster Infopunkt wird dort an diesem Sonntag, dem 8. November, öffnen. Jenem Tag also, an dem als allerletzte Passagiermaschine ein Jet der Air France mit Richtung Paris abhebt und der Airport Tegel den Flugbetrieb einstellt und schließt. Einen digitalen Überblick über die geplante Nachnutzung erhält man im Netz unter www.zukunft-berlintxl.de.
Herzstück der Urban Tech Republic und damit auch der »Stadt der Zukunft«, in der die Projektentwickler künftig Gründer, Studenten, Investoren, Industrielle und Wissenschaftler zusammenbringen wollen, wird der Wissenschaftscampus rund um das berühmte Sechseck des Terminals A. Als neuer Nutzer soll die staatliche Beuth Hochschule für Technik Berlin einziehen, allerdings unter anderem Namen, denn Beuth war Antisemit. Wie deren Präsident Werner Ullmann dieser Tage dem RBB sagte, habe man die Forschungsgebiete, die nach Tegel ziehen sollen, passend zum Konzept der smarten, vernetzten »Stadt der Zukunft« ausgesucht. »Urbane Technologien - Architektur für die Stadt der Zukunft, Heizungs-Klima-Lüftungstechnik, Mobilität, erneuerbare Energie, alles, was mit Ressourcen zu tun hat.« Zudem Gartenbauliche Phytotechnologie, eine Mischung aus Biologie, Mathematik und Betriebswirtschaftslehre, bei der es auch um neuartige Anbaumethoden in der Stadt gehe. Insgesamt zwölf ihrer Studiengänge, darunter Maschinenbau und Elektrotechnik, das eigene Gründerzentrum sowie 2500 Studienplätze will die Hochschule in Tegel versammeln.
Alle Projektbeteiligten werden einen sehr langen Atem aufbringen und gewaltige Kosten schultern müssen. Allein für den Umbau des denkmalgeschützten Airport-Terminals von Tegel sind 365 Millionen Euro vorgesehen. Präsident Ullmann hält einen Umzug seiner Hochschule im Jahr 2028 für denkbar. Tegel Projekt rechnet für 2027 mit den ersten Bewohnern im Schumacher-Quartier. Für das Gesamtvorhaben hat Geschäftsführer Bouteiller unlängst 20 bis 30 Jahre veranschlagt - eine für Berliner Verhältnisse gewagte Prognose.
Bevor die ersten Bagger anrollen, möchte die Tegel Projekt GmbH im August 2021 den Flughafen noch einmal öffnen. Bei einem »Tag der offenen Tür« sollen dann nicht nur die Gebäude offenstehen, sondern erstmals auch die aus Sicherheitsgründen sonst abgeriegelte Luftseite mit dem Rollfeld sowie den Start- und Landebahnen. »Ein Blick hinter die Kulissen des ehemaligen Flughafens wird ebenso möglich sein, wie ein Blick in die Zukunft, auf das neue Kapitel von Berlin TXL, mit der Urban Tech Republic, dem Schumacher Quartier und dem riesigen neuen Landschaftsraum«, sagte Bouteiller. »Wir hoffen, dass es die Corona-Situation im nächsten Sommer zulässt, einen für alle unvergesslichen Tag zu gestalten, bevor das Gelände für mehrere Jahre zur Großbaustelle wird.«
Ab Herbst 2021 sollen Baustraßen hergestellt, die Baulogistik eingerichtet und erste Altlasten beräumt werden. Parallel dazu erweitert die Tegel Projekt GmbH das Informationsangebot vor Ort und will dann auch Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen anbieten. Ebenfalls 2021 laufen den Angaben zufolge erste Vergabeverfahren für die Grundstücke in der Urban Tech Republic sowie im Schumacher Quartier an, die von städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Wohnungsbaugenossenschaften und privaten Baugruppen bebaut werden können.
Nach den Plänen der Projektgesellschaft sollen 2022 die Sanierungen in den Bestandsgebäuden beginnen. Parallel dazu wolle man die Vermietung für Zwischennutzungen hochfahren. Am künftigen Schumacher Quartier werde es 2022 die ersten Tiefbauarbeiten geben.
Sorge bereitet der denkmalgerechte Umgang mit dem Flughafen, einem Zeugnis der »Siebziger-Jahre-Moderne«, wie die Abgeordnete Katalin Gennburg (Linke) zu Jahresbeginn in einer Schriftlichen Anfrage im Abgeordnetenhauses betonte. Dazu stellte Tegel-Projekt-Sprecherin Constanze Döll klar: »Der Flughafen Tegel steht seit 2019 als Gesamtanlage unter Denkmalschutz, aber auch unabhängig davon haben wir schon immer das Ensemble in unseren Planungen würdig behandelt, so dass nach wie vor sichergestellt ist, dass sein unverwechselbarer Charakter erhalten bleibt.«
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