- Wirtschaft und Umwelt
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Tarifkämpfe im Krisenmodus
IG Metall steht vor schwierigen Auseinandersetzungen in der Metall- und Elektrobranche
Vor dem Hintergrund eines tiefen Wirtschaftseinbruchs und der zusätzlichen Verunsicherung über die Folgen des neuerlichen Teil-Lockdowns geht die IG Metall mit einer äußerst mäßigen Lohnforderung von vier Prozent in die anstehende Tarifrunde für knapp vier Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie (M+E). Um Entlassungen abzuwenden, setzt die Gewerkschaft auf Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung mit nur teilweisem Lohnausgleich. Dies verkündete Gewerkschaftschef Jörg Hofmann am Montagnachmittag am Rande einer Sitzung des IG-Metall-Vorstands in Frankfurt am Main.
In der M+E-Branche werden Tarifverhandlungen in den Bezirken geführt. Um den regionalen Tarifkommissionen für ihre Sitzungen in der kommenden Woche eine Leitlinie vorzugeben, beschloss der Vorstand am Montag die detaillierte Empfehlung eines »Zukunftspakets«. Nach den Rückmeldungen aus den Bezirken will der Vorstand am 26. November seine endgültige Tarifforderung festlegen.
Kernpunkt sind nach Hofmanns Angaben - neben Vereinbarungen über Investitionen, dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und einer Weiterqualifizierung der Beschäftigten - vor allem »optionale Modelle der Arbeitszeitabsenkung wie die Vier-Tage-Woche«. Dafür sollen tarifliche Mindeststandards verankert werden, die vor allem in Betrieben zur Geltung kommen, die aufgrund der Wirtschaftskrise sowie digitaler und ökologischer Transformation unter Auftragsmangel leiden. Die Vier-Tage-Woche sei »eine mögliche Antwort, um langfristig Beschäftigung zu sichern«, ist Hofmann überzeugt. »Der Wandel kann allein mit Kurzarbeit nicht abgefedert werden.« Nach wie vor stecke rund ein Drittel der Betriebe in einer tiefen Krise. »Und niemand weiß, wie sich der aktuelle Teil-Lockdown auswirkt«, warnte der Metaller.
Mit der von Hofmann seit diesem Sommer propagierten Idee einer Vier-Tage-Woche knüpft die IG Metall ein Stück weit wieder an die traditionelle gewerkschaftliche Idee einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit an. In den 80er und 90er Jahren hatte sie in der alten BRD schrittweise die 35-Stunden-Woche erkämpft. Diesmal sprechen Hofmann und seine Tarifexperten jedoch nicht von »vollem Lohnausgleich«, sondern nur von einem nicht näher bemessenen »Teilentgeltausgleich«.
Konkret könnte die Vier-Tage-Woche per Absenkung der Arbeitszeit auf 32 Wochenstunden für komplette Betriebe oder Personengruppen realisiert werden. Dies sei auch ein Beitrag zur Produktivitätssteigerung und vermeide Anfahrtswege für Pendler. Es nutze auch den Unternehmen, die Fachkräfte halten könnten, ist Hofmann überzeugt.
Die IG Metall hatte in den letzten Wochen eine Beschäftigtenbefragung in beiden Branchen durchgeführt, deren Ergebnis in Kürze vorliegen soll. Erste Auswertungen hätten ergeben, dass die Idee einer Arbeitszeitabsenkung populär sei und »der weitaus größte Teil der Beschäftigten das Vier-Tage-Modell favorisiert«, so Hofmann. In Betrieben mit vollen Auftragsbüchern könne die vereinbarte Lohnerhöhung in voller Höhe auf die Konten der Beschäftigten fließen. In krisengeschüttelten Firmen könne mit dem Volumen der Einkommensverlust durch Kurzarbeit und Vier-Tage-Woche abgemildert werden.
Zum Forderungskatalog der Metaller gehört neben Regelungen zur Übernahme von Auszubildenden und Dual-Studierenden auch eine Angleichung der Arbeitszeit und der Stundenlöhne in ostdeutschen Betrieben an das Westniveau. So ist die »35« auch nach 30 Jahren deutscher Einheit noch nicht in Tarifverträgen für den Osten verankert. Metaller, die in Zwickau, Chemnitz und anderswo in hochmodernen und äußerst produktiven Fabriken arbeiten, fühlen sich zu Recht als Beschäftigte zweiter Klasse.
Doch werden die Metaller auch in Corona-Zeiten für ihre Forderungen kämpfen? »Die Pandemie macht uns nicht zu zahnlosen Tigern«, gibt sich Hofmann zuversichtlich. »Die Belegschaften sind bereit, wenn die IG Metall dazu aufruft.« Man werde die Tarifrunde »gut gestalten« und sich auf »öffentlichere Formen des Protestes« besinnen. Über die ab März 2021 möglichen Warnstreiks wolle man aber »jetzt noch nicht philosophieren«, sondern zunächst die konkreten Forderungen in den Betrieben breit verankern.
Dass der einseitige Lohnverzicht der IG Metall im zu Ende gehenden Jahr vom Unternehmerlager nicht honoriert wurde, hat offensichtlich auch Hofmann registriert. »Wir haben im Frühjahr 2020 auf eine Erhöhung der Tabellenentgelte verzichtet und dies mit der Erwartung verknüpft, dass ihr darauf verzichtet, unsere Leute auf die Straße zu setzen«, sagt der Metaller an die Adresse des Unternehmerlagers. Letztlich habe jedoch »ein nicht kleiner Teil der Arbeitgeber« die Krise genutzt, um Personalabbau, Strukturveränderungen und Standortverlagerungen zulasten der Beschäftigten durchzudrücken. Zukünftig werde sich die Gewerkschaft nicht mehr »auf einen Deal des Wortes einlassen, sondern über Tarifverträge Fakten und Ansprüche schaffen«, gibt sich der IG-Metall-Chef entschlossen.
Die Arbeitgeber wiesen in einer ersten Reaktion auf einen geringen Verhandlungsspielraum wegen der angeblich schlechten wirtschaftlichen Lage vieler Betriebe durch die Coronakrise hin.
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