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Aserbaidschan triumphiert

Armenien zahlt Preis für Waffenstillstand im Konflikt um Bergkarabach und stürzt innenpolitisch in die Krise

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Nacht auf Dienstag war es soweit: Die sechs Wochen andauernden heftigen militärischen Auseinandersetzungen um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach wurden offiziell für beendet erklärt. Russland, Armenien und Aserbaidschan unterzeichneten eine entsprechende Erklärung. »Wir gehen davon aus, dass die erreichten Vereinbarungen die nötigen Voraussetzungen schaffen für eine langfristige und weitreichende Regulierung der Krise um Bergkarabach auf einer gerechten Grundlage«, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin. Bis zum frühen Morgen waren bereits neun Militärflugzeuge aus Uljanowsk gestartet, um insgesamt 1960 russische Armeeangehörige samt Gerätschaft in das umkämpfte Gebiet zu schicken. Dieses Friedenskontingent erhält zunächst ein Mandat für fünf Jahre mit Option auf eine weitere Verlängerung.

Das neue Abkommen revidiert faktisch den seit 1994 geltenden Status quo. Im Zuge der damaligen Kämpfe gelang es Armenien, nicht nur die Kontrolle über das hauptsächlich von Armeniern besiedelte Bergkarabach herzustellen, sondern auch über weitere sieben zu Aserbaidschan zugehörigen Regionen. Darunter auch über den strategisch wichtigen Ort Schuscha mit seiner Festung, die über der Hauptstadt von Karabach, Stepanakert, thront. Dort lebten damals überwiegend Aserbaidschaner. Dem Verlust von Schuscha kam in Aserbaidschan zudem eine hohe symbolische Bedeutung zu, aus dem sich ein nicht unwesentlicher Teil des Bestrebens speist, die damalige Niederlage wieder wettzumachen. Seither haben sich die Kräfteverhältnisse umgedreht. Aserbaidschans Öldollars erlaubten eine Aufrüstung mit modernster Kriegstechnik, so dass dessen Einheiten anders als ihre armenischen Gegner bestens vorbereitet waren, bei vorzugsweise nächtlichen Einsätzen Geländegewinne zu erzielen.

Spätestens, als Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew am 8. November die Einnahme von Schuscha verkündete, manifestierte sich die drohende Niederlage Armeniens. Verhandlungen über einen Waffenstillstand unter Vermittlung des Kremls fanden bereits zuvor statt, hatten jedoch keine praktischen Folgen. Nun aber war Eile geboten, allein schon um ein weiteres Vordringen aserbaidschanischen Militärs nach Stepanakert zu verhindern. Das hätte unweigerlich zu weiteren Opfern, darunter auch unter der Zivilbevölkerung, geführt.

Alijew bezeichnete das nun zustande gekommene Waffenstillstandsabkommen frohlockend als Kapitulation Armeniens. Und damit hat er nicht unrecht, denn Aserbaidschan geht als eindeutiger Sieger aus der Auseinandersetzung hervor. Armenien verpflichtet sich zum Rückzug aus zuvor kontrollierten Gebieten bis Mitte Dezember. Nach Bergkarabach bleibt ein enger Korridor bestehen und seinerseits muss Armenien den Zugang zu der Autonomen Republik Nachitschewan garantieren, die als Exklave vom aserbaidschanischen Kernland abgetrennt ist. Für Alijew kommt das einem riesigen politischen Erfolg gleich, der seine Rolle als oppositionelle Kräfte systematisch unterdrückender Alleinherrscher in Aserbaidschan festigt.

Armenien hingegen erwartet eine innenpolitische Krise, wie es sie unter dem seit 2018 regierenden Premierminister Nikol Paschinjan noch nicht gegeben hat. Protest gegen dessen Alleingang regte sich nicht nur prompt auf der Straße, auch Präsident Sersch Sarkisjan meldete sich empört zu Wort. Er habe über die Inhalte des Abkommens erst aus den Medien erfahren. Anders als Aserbaidschan durchlief Armenien in den vergangenen zwei Jahren einen demokratischen Wandel und das Parlament verfügt über ein starkes Mitspracherecht. Ein Teil der Abgeordneten forderte bereits den Rücktritt des Premiers.

Paschinjan versuchte sich zunächst in Schadensbegrenzung, indem er auf Schwierigkeiten hinwies, die Kampffähigkeit aufrechtzuerhalten und die Unterzeichnung des Abkommens als Etappensieg darstellte. Stepanakert sei schließlich nicht aufgegeben worden und der Status von Bergkarabach bleibe unangetastet. Tatsächlich enthält der knapp formulierte Text keine Passage über die Zukunft von Bergkarabach und auch keinen Verweis auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die an sich als vermittelnde Instanz vorgesehen ist. Damit steht die Erarbeitung einer Lösungsstrategie noch bevor. Gelingt es Paschinjan nicht, eine Mehrheit für sein Vorgehen zu sichern, stellt sich die Frage, wer auf armenischer Seite als Garant und Verhandlungspartner fungieren soll. Russland wiederum sichert seinen Einfluss im Südkaukasus und stellt sich beiden Konfliktparteien als enger Partner an die Seite.

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