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Die Mär von der gerechten Verteilung
Auch Deutschland hat sich Impfdosen für seine Bevölkerung exklusiv gesichert. Warum das höchst unsolidarisch ist, erklärt Elisabeth Massute.
Immer wieder haben Spitzenpolitiker*innen während der Covid-19-Pandemie flammende Bekenntnisse zur globalen Solidarität und zu einer gerechten Verteilung künftiger Impfstoffe abgegeben. Gesundheitsminister Jens Spahn sagte etwa im Mai: »Impfungen und Medikamente müssen der gesamten Menschheit zur Verfügung stehen. Künftige Impfstoffe gegen Covid sollten als globale öffentliche Güter betrachtet werden.« Doch vor ein paar Wochen klang das Ganze dann schon anders: »Ich gebe nachher gerne anderen Ländern auf der Welt etwas von den mit uns vertraglich geklärten Impfstoffen ab, wenn sich herausstellt, dass wir mehr haben, als wir brauchen«, so Spahn.
Wie sieht die Realität aus? Bereits jetzt ist mehr als die Hälfte der möglichen Impfstoffe, die im kommenden Jahr global produziert werden können, in Vorabverträgen gebunden. Das gilt auch für die Kontingente der Firma Biontech, die gestern erste positive Ergebnisse ihrer klinischen Studien verkündete. Reiche Länder, unter anderem Deutschland als Teil des »Team Europe«, haben sich so Impfdosen für ihre Bevölkerung exklusiv gesichert. Das ist höchst unsolidarisch. Dabei wurde im Frühjahr extra ein Programm namens ACT-A (Access to Covid-19 Tools Accelerator) ins Leben gerufen, das die Entwicklung, Produktion und Verteilung von Impfstoffen, Tests und Medikamenten voranbringen soll. Milliardenbeträge öffentlicher Gelder wurden bereitgestellt. Die Impfstoffe sollen durch die zentrale »COVAX Facility«, gebündelt für alle Länder, eingekauft und verteilt werden. Ein neuer Ansatz, der Impfstoffnationalismus vorbeugen sollte.
Fakt ist: Die Vorabverträge verknappen die Kontingente weltweit. Doch wenn ein Verteilungsmechanismus wie COVAX nichts zu verteilen hat, wird er nichts nutzen. Viele ärmere Länder haben ihre Hoffnungen in den gemeinsamen Ansatz gesetzt. Sie können es sich nicht leisten, vorab Impfstoffe für ihre Bevölkerungen zu reservieren.
Diese Menschen müssen sich damit hintenanstellen, wenn ein Impfstoff auf den Markt kommt. Vor allem Menschen auf der Flucht oder in humanitären Krisensituationen fallen bisher komplett durchs Raster. Auch müsste Gesundheitspersonal weltweit prioritär durch einen zukünftigen Impfstoff geschützt werden. Ärzt*innen und Pfleger*innen sind entscheidend, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen sehen es derzeit überall in den Einsatzländern: Krankheiten wie Tuberkulose oder Malaria machen keine Pause. Ganz im Gegenteil: Malarianetze können in Zeiten der Pandemie nicht verteilt werden, es werden weniger Tuberkulosetests und Behandlungen durchgeführt. Millionen von Menschen weltweit sind betroffen. Überall kommen Gesundheitssysteme an ihre Grenzen. Schon allein deshalb sollte ein Impfstoff, der Entlastung bringen könnte, gerecht verteilt werden.
Eine globale Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle vorbei ist. Covid-19-Impfstoffe sollten nach dem dringendsten medizinischen Bedarf verteilt werden - nicht nach dem größten Geldbeutel. Deutschland muss vom Impfstoff-Nationalismus ablassen. Die Bundesregierung muss sich für echte globale Solidarität einsetzen. Das bedeutet: Deutschland muss sicherstellen, dass Gesundheitspersonal weltweit prioritär durch einen zukünftigen Impfstoff geschützt wird, und sollte zumindest Anteile seiner bisher reservierten Impfstoffdosen für einen humanitären Mechanismus zur Verfügung stellen, damit auch Menschen in Krisensituationen geimpft werden können.
Zusätzlich sollte die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass neue Technologien, etwa für Impfstoffe, geteilt werden. Nur so kann die Produktion so ausgeweitet werden, dass weltweit schnell viele Menschen geschützt werden können. Und letztlich muss sich die Regierung für mehr Transparenz einsetzen. Es werden Milliarden an Steuergeldern in die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, Medikamenten und Testmöglichkeiten für Covid-19 investiert. Das ist notwendig und wichtig. Doch Firmen, die Förderungen erhalten, sollten dann auch Produktionskosten offenlegen, damit nachvollzogen werden kann, welche Preise am Ende verlangt werden sollten. Es geht um die Gesundheit der Menschen, nicht um Profite einzelner Firmen.
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