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»Das ist kein religiöser Krieg«
Der Erzbischof Bergkarabachs Pargev Martirosyan über die Ursprünge des Konflikts um Bergkarabach und die Rolle der Türkei
Eminenz, in Armenien und Arzach gelten Sie nicht nur als religiöse Schlüsselfigur, sondern zudem als Kriegsheld. Bei der Eroberung Schuschas durch pro-armenische Kräfte 1992 (Schuscha wurde vergangenes Wochenende durch Aserbaidschan zurückerobert, die Red.) sollen Sie vorher alle beteiligten Kämpfer gesegnet haben, bevor sie in den Kampf zogen. Welche Rolle spielt Religion im Bergkarabachkonflikt?
Als Allererstes möchte ich klarstellen, dass dieser Krieg kein religiöser Krieg ist. Die Ursprünge des Konflikts zwischen Armeniern und Aserbaidschaner sind mit der Einforderung von grundlegenden Menschenrechten verbunden. Josef Stalin hat 1921 entschieden, drei ursprünglich armenische Gebiete als Geschenk an die neu gegründete Sozialistische Sowjetrepublik Aserbaidschan zu geben: Arzach, Nachitschewan und Utik. Stalin wollte damals auch die Beziehung zur Türkei verbessern. Man hat versucht, mit solchen Geschenken auch die Einstellung von Ländern wie Aserbaidschan gegenüber dem Kommunismus zu verbessern. Es war also ein geostrategisches Geschenk, mit dem der Kommunismus vorangebracht werden sollte. Stattdessen hat es das Gegenteil bewirkt, und zwar die Gräben zwischen den verschiedenen Volksgruppen vertieft. Nachitschewan hat man versucht, komplett von Armeniern zu säubern. Das Gleiche sollte hier geschehen. Aber unsere Leute haben sich gewehrt und gesagt: nein, genug. Als die Situation 1988 eskalierte, haben wir gesagt: Wir werden für unsere Rechte kämpfen. Wir sind seine autonome Verwaltungszone innerhalb der Sowjetunion, wir wollen unser eigenes Land auf dem wir in Einklang mit unserer Sprache, unserer Geschichte und eben mit unserer eigenen Religion frei leben. Seit dem Jahr 1930 wurden fast alle Kirchen geschlossen; über viele Jahre wurde auch die armenische Sprache nicht in Regionen unterrichtet, die mehrheitlich von Armeniern bewohnt waren.
Aber das Schließen vieler Kirchen war doch nicht nur in Arzach oder Aserbaidschan der Fall, sondern in der gesamten Sowjetunion ...
Sicherlich, deswegen meinte ich, dass die Religion nur ein Teilaspekt des Konfliktes und auch der armenischen Identität darstellt. Der Bergkarabachkonflikt ab 1988 wurde zu Großteilen durch die ethnische Vertreibung und Tötung von Armeniern in Aserbaidschan ausgelöst - unter anderem das Kivorabad Pogrom 1988 im heutigen Gandscha und später dann in der Hauptstadt Baku. Durch die Gründung der Republik Arzach hat man diesen Leuten ein neues Zuhause geboten. Und bislang haben wir es immer geschafft, uns im Kampf gegen sie zu behaupten.
Was ist dieses Mal der Unterschied?
Die Offensive, die Aserbaidschan am 27. September gestartet hat (am 10. November wurde unter Vermittlung des russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Friedensabkommen vereinbart, d. Red.), unterscheidet sich vor allem in einem Aspekt: die Türkei. Durch die türkische Involvierung wird nicht nur die Effektivität der Offensive auf unser Land drastisch erhöht, sondern auch die Brutalität. Hochmodernes Gerät, wie US-amerikanische F-16 Jagdflugzeuge, Drohnen und auch hoch ausgerüstete Infanterie. Seit Mitte Oktober befinden sich etwa 1200 türkische Spezialeinheiten zur Unterstützung an der Front, ganz zu schweigen von Tausenden Terroristen nicht nur aus Syrien. Auf aserbaidschanischer Seite kämpfen auch Söldner aus Libyen, Pakistan, Afghanistan und diversen afrikanischen Staaten.
Welche Interessen verfolgt die Türkei?
Für die Türkei ist der Konflikt eine gute Gelegenheit, ihre Position gegen Russland zu stärken. Der Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat einen großen Traum: Er will ein großes Neo-Osmanisches-Reich etablieren, das sich durch den gesamten Kaukasus und darüber hinaus bis an die Grenzen Chinas zieht. Dafür ist er bereit, einen weiteren Genozid an unseren Leuten zu begehen, beziehungsweise von anderen begehen zu lassen.
Ich muss nochmal zu unserem ursprünglichen Thema zurückkehren. Sie als Erzbischof beteuern, dass dies kein religiöser Krieg sei. Wenn man sich jedoch die Rhetorik anschaut, die von beiden Seiten benutzt wird, fällt es einem schwer, das zu glauben. In armenischen Medien wird von einem Angriff der »Kräfte der Dunkelheit« geredet, die von »Kriegern des Lichts« zurückgedrängt werden. Auf aserbaidschanischer Seite laufen in Dauerschleife Gebete für die tapferen Krieger auf einem Feldzug der Gerechtigkeit ...
Ich glaube, vor allem auf aserbaidschanischer Seite, probiert man mit dieser islamischen Rhetorik, eine Unterstützung oder Sympathien für den Krieg in anderem muslimischen Ländern zu gewinnen. Aber vor allem die Aserbaidschaner wissen, dass ihre wahren Motive für ihren Angriff auf uns keine religiösen sind. Es gibt viele Armenier, die in muslimischen Ländern leben. Ob im Iran, im Libanon, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Syrien oder anderen. Dort gibt es kaum Probleme zwischen uns, wieso auch. Auch ich habe viele gute Verbindungen zu religiösen Oberhäuptern der islamischen Welt. Wenn, dann benutzen Aserbaidschan und die Türkei ihre Religion in diesem Konflikt als Instrument, um Sympathien zu schaffen oder eine Ungerechtigkeit als gerecht aussehen zu lassen. Aber der Konflikt zwischen uns hat nicht mit der Religion begonnen, auch wenn jetzt gerade vor allem Präsidenten wie Erdoğan sie auszuschlachten versuchen. Aber selbst wenn diese Zeit vorbeigeht, wird es sehr wahrscheinlich, leider, den Konflikt um Karabach weiter geben.
Auf armenischer Seite sind auch unzählige Priester an der Front mit dabei. Viele Armenier lassen sich noch mal taufen, bevor sie in den Krieg ziehen ...
Natürlich, auf armenischer Seite ist und war die Religion nie bedeutungslos. Aber sie ist nicht der Grund, warum es diesen Konflikt gibt. Trotzdem: Unsere Priester leisten Unterstützung, wo sie nur können. Ob in der Verteilung von Lebensmitteln, der Bereitstellung von Kirchen als Schutzbunker oder zur psychologischen Unterstützung von Zivilisten und Soldaten. Unsere Aufgaben sind vielfältig, aber ich kann nur davor warnen, Religion in irgendeiner Weise als Grund für das Töten auszugeben.
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