- Berlin
- Kay Nerstheimer
Die NPD sitzt wieder im Parlament
Der ehemalige AfD-Abgeordnete Kay Nerstheimer wechselt zur Neonazi-Partei über
Seit Mittwoch ist es offiziell: Die rechtsextreme NPD ist erstmals seit Jahren wieder in einem Landesparlament vertreten – und zwar ausgerechnet im rot-rot-grün regierten Berlin. Zwar verfehlte sie 2016 mit 0,6 Prozent der Stimmen den Einzug ins Abgeordnetenhaus meilenweit, doch mit dem Ex-AfD-Abgeordneten Kay Nerstheimer, der nun zur NPD übergetreten ist, wie am Mittwoch bekannt wurde, hat die Neonazi-Partei wieder einen Parlamentssitz. Das Triumphgeheul bei den Anhängern der NPD, die im Zuge des Aufstiegs der AfD zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versunken war, in den sozialen Medien ist entsprechend groß.
Kein Wunder, ist doch Kay Nerstheimer in seiner Geisteshaltung einer von ihnen: In früheren Jahren hatte er der rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten «German Defence League» angehört und den Aufbau einer Miliz geplant. Homosexuelle bezeichnete er als «degenerierte Spezies» und Flüchtlinge als «widerliches Gewürm». 2016 wurde er über ein Ticket der AfD mit 26 Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus gewählt – und das direkt im Wahlkreis Hohenschönhausen im Bezirk Lichtenberg, der traditionell an die Linkspartei ging. Zum ersten mal unterlag die Linke knapp mit 25 Prozent.
Damit ihre bürgerliche Fassade nicht gleich zu Beginn Schaden nimmt, musste Nerstheimer jedoch auf die Mitgliedschaft in der AfD-Fraktion verzichten. Nur ein Jahr später wurde seine Immunität aufgehoben und der 56-Jährige wurde wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 7000 Euro verurteilt. Anfang 2020 folgte dann der endgültige Ausschluss aus der AfD. Die distanzierte sich am Mittwoch prompt von ihrem ehemaligen Kandidaten. «In der Alternative für Deutschland ist kein Platz für Ewiggestrige», so ein Sprecher zu «nd». Wer glaube, in der NPD besser aufgehoben zu sein, habe das Programm der AfD nicht begriffen.
Ganz überraschend kam der Wechsel nicht: Neben inhaltlichen Überschneidungen suchte Nerstheimer auch personell die Nähe zur NPD. Bereits im Januar nahm er gemeinsam mit dem baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der wenig später ebenfalls aus der AfD geworfen wurde, am sogenannten «Dienstagsgespräch» von Rechtsextremisten am Gendarmenmarkt teil: Seite an Seite mit den NPD-Politikern wie Udo Voigt und Andreas Käfer, bewacht von Neonazi-Security, einer davon mit «Combat18»-Jacke, einer militanten rechtsextremen Organisation, die vor Kurzem verboten wurde. Im Juni soll Nerstheimer laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin an einer NPD-Kundgebung in Dresden teilgenommen haben.
Was Nerstheimer davon hat, einer Neonazi-Partei beizutreten, die angesichts ihres desolaten Zustands als Trümmerhaufen gilt, ist unklar. Für die NPD selbst ist es vor allem ein PR-Coup. Denn inhaltlich ist der laut «Berliner Zeitung» unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Unterhaltspflicht sechsfach vorbestrafte Nerstheimer bisher nicht sonderlich aufgefallen. «Er hält keine Redebeiträge oder parlamentarischen Anfragen, außer anwesend zu sein macht er praktisch nichts», berichtet ein Szene-Kenner, der die AfD beobachtet.
Das bestätigt auch die Vorsitzende der Berliner Linken, Katina Schubert. Der sitzt immer nur da und sagt nichts – Gott sei Dank.« Für sie ist der Wechsel von Nerstheimer zur NPD keine Überraschung. »Es wundert mich nicht, dass ein faschistischer Abgeordneter zu einer faschistischen Partei wechselt«, so Schubert zu »nd«. Für das Parlament sei es aber natürlich »unangenehm«, dass mit Nerstheimer nun die NPD vertreten ist.
Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Antje Kapek, ist die Anwesenheit eines NPD-Vertreters im Abgeordnetenhaus eine »grauenhafte Vorstellung«. Sie findet Wechsel von der AfD zur NPD angesichts des gleichen Gedankenguts jedoch nur »folgerichtig«: »Damit ist endgültig der Beweis erbracht, wessen Geistes Kind die AfD ist«, sagt Kapek zu »nd«. »Jeder, der die AfD wählt, sollte wissen, dass er damit Rechtsradikale unterstützt.«
Nerstheimer selbst äußerte sich am Mittwoch in einem Interview mit Udo Voigt auf dem NPD-Kanal in einem sozialen Netzwerk ausführlich zu seinen Beweggründen. Die AfD bezeichnete er dort als »Systempartei«, die ihren »patriotischen Weg verlassen« habe. »Ich habe mich politisch nicht verändert.« Als ehemaliger Soldat habe er eine gewisse Einstellung zum Leben und zu seinem Land, sagt Nerstheimer und es wird klar, was er damit meint, als sogleich Begriffe wie »völkisch« und »Corona-Terrorismus gegen die Bevölkerung« fallen. »Das finde ich bei den Kameraden hier wieder.«
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin befürchtet, dass die NPD durch Nerstheimer an sensible Informationen gelangen könnte, schließlich ist dieser Mitglied des Innenausschusses. »Es ist nicht auszuschließen, dass Informationen über die rechte Szene so in die Hände von Rechtsextremisten gelangen«, sagt Simon Brost zu »nd«. Auch finanziell könnte die angeschlagene NPD profitieren. »Mit den Mitteln eines Abgeordneten könnten etwa rechtsextreme Mitarbeiter eingestellt werden«, so Brost. Nicht zuletzt würde sie mit einem Mandatsträger aber vor allem wieder ein Stück weit an politischer Handlungsfähigkeit und Öffentlichkeit gewinnen.
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