Doping von der Steuer absetzen

Im »Aderlass«-Prozess gibt ein Ex-Radprofi Einblicke ins Betrugssystem.

  • Tom Mustroph, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Ort des Geschehens ist ein Besonderer. Im Saal 101 des Landgerichts München wird derzeit der Strafprozess zur Dopingermittlung »Operation Aderlass« verhandelt. Im gleichen Saal fand zuvor der NSU-Prozess statt. Etwas sarkastisch mag man also behaupten: Es ist eine gewisse Thüringer Kontinuität erkennbar. Denn der Hauptangeklagte Mark S. praktizierte in Erfurt und steuerte von dort aus sein internationales Dopingnetzwerk.

Weil Justizmühlen selten schnell mahlen, sind auch noch die einst extra errichteten Schutzwände aus den Zeiten des NSU-Prozesses vor dem Eingang noch vorhanden. Im Gerichtssaal selbst sind mittlerweile Plexiglasscheiben eingezogen, die Verteidiger, Staatsanwälte und Angeklagte coronakonform voreinander schützen. Brav wischt der Gerichtsdiener auch immer den Zeugenstand ab, und er musste viel wischen in diesen Tagen. Denn ein paar sehr interessante Zeugen waren ihren Vorladungen gefolgt.

Zunächst stellte am Dienstag dieser Woche die IT-Forensikerin Cornelia Menzel ihre Auswertung von Handys und Computern der Angeklagten vor. Einige Detektivarbeit sei nötig gewesen, vor allem bei der Wiederherstellung gelöschter Suchverläufe in Browsern der Computer. Den Zugang zum wohl wichtigsten elektronischen Beweismittel hatte aber der Angeklagte selbst geliefert. »Unser Mandant gab dieses Handy auf Anraten seiner damaligen Anwälte freiwillig heraus. Ohne seine Mitwirkung hätte die Staatsanwaltschaft München nur etwa ein Zehntel ihrer Ermittlungsergebnisse«, betonte der Anwalt von S., Juri Goldstein, gegenüber »nd« die Kooperationsbereitschaft seines Mandanten.

Tatsächlich waren sehr viele Informationen auf diesem Telefon, das mit einer slowenischen Simcard versehen war. 44 Nummern fand die Sachverständige darauf, die sie 30 verschiedenen Personen zuordnete. Die Nachrichten enthielten Absprachen zu Treffen für Blutentnahme und -rückführung. Verabredungen über Zahlungen gab es ebenfalls. Von mehreren Hundert bis zu 27 000 Euro reichten die Beträge. In einer SMS wurde sogar eine Jahresgebühr von 40 000 Euro genannt. Ob der Betrag tatsächlich gezahlt wurde, konnte die Expertin nicht feststellen.

Der frühere Radprofi Danilo Hondo, der ebenfalls am Dienstag als Zeuge erschienen war, bestätigte immerhin, Mark S. für dessen Dopingbetreuung in der Saison 2012 insgesamt etwa 25 000 Euro gegeben zu haben. Stets in bar und in raten von 3000 bis 5000 Euro, wie Hondo vor Gericht erklärte. Die Sachverständige hatte drei dies bestätigende Rechnungen über jeweils 5000 Euro von S. an Hondo gefunden, die auf die Jahre 2010 bis 2012 datiert waren. Der Arzt habe sie ausgestellt, damit Hondo die Ausgaben von der Steuer absetzen konnte, erklärte der frühere Top-Sprinter. Natürlich standen »Dopingdienstleistungen« nicht explizit auf der Rechnung. Das Detail aber zeigt, für wie selbstverständlich Doping erachtet wurde, und wie noch auf der fiskalischen Ebene versucht wurde, jeden minimalen Vorteil herauszuholen.

Hondo gab für diesen Zeitraum »drei bis vier Blutentnahmen und ebenso viele Rückführungen« als Leistung des Mediziners an. Für gerade mal sechs bis acht Eingriffe plus Einfrieren und Lagerung der Blutbeutel erscheinen 25 000 Euro ein hoher Preis zu sein. Im Falle Hondos soll das Doping zudem nicht einmal etwas gebracht haben. »Ich habe mir im Nachhinein noch mal meine Leistungen angeschaut. Und es ist erschütternd, dass ich da so schlecht gefahren bin wie sonst kaum«, erzählte Hondo nach seiner Aussage dem »nd«. Er vermutet, die Zuckerlösung, die zur Aufbewahrung des Blutes nötig war, habe bei ihm zu einer Reaktion geführt. »Ich war blockiert, voller Glukose«, sagte er, und meinte abschließend: »Für mich ist Blutdoping der größte Scheiß, selbst wenn andere Sportler ganz anders darauf ansprechen mögen.«

Über Hondos Vermittlung kam auch dessen damaliger Teamkapitän, Italiens Sprintstar Alessandro Petacchi, zu Mark S. Forensikerin Menzel ordnete dem Italiener den Tarnnamen »Sky« zu sowie eine Jahreszahlung von 27 000 Euro. Petacchi streitet eine Beteiligung stets ab. Hondo erklärte aber vor Gericht, dass sie Blutdopingtransfusionen sogar gemeinsam im Hotelzimmer vollzogen hätten. Während auf Petacchis Blutbeutel dann »Sky« notiert war, stand auf dem von Hondo »James Bond«.

Aus der SMS-Auswertung des Handys von Mark S. ging ebenfalls hervor, dass ausgerechnet Hondo für den Arzt den Kontakt zum umtriebigen Radsportmanager Milan Erzen hergestellt hatte. Damals noch sportlicher Leiter des slowenischen Teams Adria Mobil und wenig später Gründer des World-Tour-Rennstalls Bahrain Merida, gilt Erzen heute als Vertrauter des Kronprinzen von Bahrain und soll ihn nicht nur bei dessen Radsportengagement, sondern auch beim Hobby Pferdesport beraten haben. Interessant war daher die Aussage eines Technikers aus einem slowenischen Blutspendezentrum am Mittwoch: Mehrere Jahre lang habe er das medizinische Gerät für die Erfurter Dopingaktivitäten gewartet - und er hatte laut einer SMS bei S. angefragt, ob seine Methoden auch auf Pferde anwendbar seien. Es liegt nahe, das wahre Interesse daran nicht bei jenem Techniker, sondern bei Erzen oder jemanden aus dessen Umfeld zu vermuten.

Die Befragung des Medizintechnikers aus Ljubljana brachte hinsichtlich der Geschäftsbeziehungen zwischen S. und Erzen aber keine weiteren Neuigkeiten. Ob in dieser Richtung weiter ermittelt werde, ließ der Staatsanwalt des Verfahrens, Kai Gräber, gegenüber »nd« offen. Er bestätigte zwar, dass es Rechtshilfe von verschiedenen europäischen Ländern gegeben habe, gab aber keinen Hinweis darauf, ob auch Slowenien dazu gehörte. Wegen Verzögerungen durch Corona sowie die Schwierigkeiten, ausländische Zeugen vor Gericht erscheinen zu lassen, wird immer wahrscheinlicher, dass sich der Prozess noch bis ins nächste Jahr hinzieht.

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