- Berlin
- Zwangsräumungen
Menschen nicht auf die Straße setzen
Linke-Bundestagsabgeordneter Pascal Meiser fordert Aussetzung von Zwangsräumungen
Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) soll schnell »unter Wahrung der Gewaltenteilung« das Gespräch mit den Amtsgerichten suchen, »um eine erneute Aussetzung der Vollstreckung von Zwangsräumungen für die Dauer der Pandemie« zu erreichen. Darum bittet der Linke-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser den Senator in einem »nd« vorliegenden Brief. Im Frühjahr während der ersten Coronawelle hatten die Berliner Amtsgerichte Anordnungen erlassen oder den Gerichtsvollziehern Hinweise gegeben, bis 30. Juni Zwangsräumungen nicht zu vollstrecken.
»Die aktuelle Pandemielage gebietet es dringend, den Vollzug von Zwangsräumungen auch jetzt wieder auszusetzen. Gerade weil die Infektionszahlen deutlich über denen des Frühjahrs liegen und nicht absehbar ist, wann es zu einer Beruhigung der Lage kommt, muss alles dafür getan werden, Mieterinnen und Mieter vor Wohnungslosigkeit zu schützen«, sagt Meiser zu »nd«. Nun stehe zusätzlich auch noch die kalte Jahreszeit vor der Tür, erinnert er den Berliner Justizsenator. »Der Verlust der eigenen Wohnung ist daher aktuell häufig existenz- wenn nicht gar lebensbedrohend«, so der Friedrichshain-Kreuzberger Bundestagsabgeordnete weiter. Es müssten alle Möglichkeiten genutzt werden, um die betroffenen Menschen zu schützen.
Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten.
Anweisen kann Dirk Behrendt wegen der Gewaltenteilung einen solchen Aufschub für die Dauer der Pandemie nicht, er kann diesen höchstens anregen. »Zwar sind auch die geltenden Einschränkungen für die Berlinerinnen und Berliner belastend, jedoch nicht mit der Situation im Frühjahr vergleichbar, so dass die Amtsgerichte bisher keinen Anlass gesehen haben, Vollstreckungsmaßnahmen auszusetzen«, teilt Pressesprecher Sebastian Brux auf nd-Anfrage mit. Justiz-Staatssekretärin Daniela Brückner (parteilos, für Grüne) habe allerdings die Grundversorger Gasag und Vattenfall gebeten, auf Strom- und Gassperren bis auf weiteres zu verzichten.
»Im Moment gibt es keine generelle Anweisung, Räumungen vorerst nicht zu vollziehen«, bestätigt auch Thomas Heymann, Sprecher für die Berliner Zivilgerichte, dem »nd«. Betroffene könnten auch einen Schutzantrag stellen, dass die Räumung eine unzumutbare Härte sei, erklärt Heymann. Auch der Gerichtsvollzieher könne das prüfen »und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden«. Ende März hatte das Landgericht geurteilt, dass gerichtliche Räumungen grundsätzlich nicht vor dem 30. Juni 2020 angesetzt werden dürfen, außer schwerwiegende Gründe sprächen dagegen. Es begründete die Entscheidung damit, dass das Finden einer Ersatzwohnung zur damaligen Zeit »besonders erschwert« bis »überwiegend unwahrscheinlich« sei. Damit genügte bei Anträgen auf Räumungsaufschub der Hinweis auf die Pandemie.
»Das Urteil bezieht sich nur auf die Räumungsfrist und nicht auf die Räumung. Man kann diese auf höchstens ein Jahr verlängern«, stellt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, die Rechtslage klar. »Und wenn jetzt im November beispielsweise die einjährige Räumungsfrist abläuft, kann das auch kein Amtsgerichtspräsident stoppen. Das könnte nur der Kläger«, so Wild. »Wir fordern, dass Räumungen grundsätzlich ausgesetzt werden. Dafür kann nur der Bundesgesetzgeber sorgen«, erklärt der Mietervertreter. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangt die Aussetzung von Zwangsräumungen.
Die Mieterschutzregeln in der Corona-Pandemie sind nach Ansicht des Mietervereins sowieso nicht ausreichend. Die CDU verweigerte sich der Verlängerung des Kündigungsschutzes wegen Mietzahlungsverzug über den 30. Juni 2020 hinaus. Verhältnismäßig komfortabel ist die Situation für Mieter der Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Bis mindestens Jahresende sind Mieter mit pandemiebedingten Zahlungsschwierigkeiten vor Kündigung und Räumung geschützt. Das gilt auch für Gewerbemieter.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.