Plätze fehlen schon in normalen Jahren

Brandenburger Obdachlosenunterkünfte kämpfen mit den Folgen der Corona-Pandemie

  • Lesedauer: 4 Min.

Obdachlosenunterkünfte in Brandenburg blicken mit Sorge auf den Winter in der Corona-Pandemie. »Es darf keine Aufnahmestopps wie bei der ersten Welle geben. Wenn das wieder passiert im Winter, das sehen wir mit großer Sorge«, sagt Angela Schweers, Vorstandsvorsitzende der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt. Bei einer gleichbleibenden Anzahl von Einrichtungen gebe es dann coronabedingt weniger Plätze. Aus ihrer Sicht muss es dringend zusätzliche Unterkünfte geben. Die Situation für Obdachlose in der Pandemie sei »dramatisch«. Das Obdachlosenheim der AWO in Potsdam mit rund 95 Plätzen zuzüglich Notbetten sei eigentlich immer zu 100 Prozent ausgelastet, so Schweers. Wer einen Platz brauche, bekomme auch einen.

Abweisungen bei Kälte verboten

Nach den mit der Stadt festgelegten Rahmenbedingungen darf an kalten Wintertagen niemand abgewiesen werden. Daher mussten mit Pandemie-Beginn neue Zimmer angemietet werden, um den Mindestabstand zu gewährleisten. Neuankömmlinge würden auf das Coronavirus getestet und kämen zunächst in Quarantäne. Bisher habe es keinen Corona-Fall gegeben. Wichtig sind aus Sicht der Potsdamer AWO-Vorstandschefin eine zusätzliche tägliche Essensversorgung und kostenlose öffentliche Dusch- und Waschplätze. In Einrichtungen wie der Suppenküche mit Frühstück und warmem Mittagessen für Wohnungslose und der Volkssolidarität mit öffentlichen Duschen und Waschplätzen seien Plätze begrenzt und nur zu Öffnungszeiten nutzbar. Mit Blick auf die kalten Tage seien Spenden wie Kleidung und Schlafsäcke wichtig. Insgesamt existieren in Potsdam nach Angaben der Stadt acht Unterkünfte mit rund 260 Betten. Wie viele Plätze in ganz Brandenburg vorhanden sind, wird nicht erhoben.

In Neuruppin ist schon alles belegt

Auch in anderen Einrichtungen im Land wird es enger, je kälter die Nächte werden. In der Notunterkunft K6 des Diakonisches Werkes Ostprignitz-Ruppin in Neuruppin stehen 25 Plätze bereit. Alle seien belegt, sagt Geschäftsführer Tobias Kind. »Für den Winter kommen wir damit nicht aus.« Denn nun kämen viele »Freigeister«, wie Kind sie nennt, die in wärmeren Nächte im Freien übernachteten. »Wie es jetzt mit Corona kommt, wissen wir noch gar nicht.« Der Geschäftsführer befürchtet, dass es wegen der Pandemie mehr Obdachlose geben wird. Vielen Menschen fehle durch Kurzarbeit das Geld. »Im schlimmsten Fall können wir mehr aufnehmen.« Zum Schutz vor dem Virus gilt außerhalb der Zimmer Maskenpflicht. »Wenn wir einen Corona-Fall hätten, dann wäre das schlimm«, sagt der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger. »Wir sind hier nicht in einer Schule, wo die Kinder zur Quarantäne nach Hause können. Unsere Bewohner haben kein Zuhause.«

Über die Jahre seien es mehr Menschen geworden, die Obdach in der Unterkunft suchten. Schuld daran sind aus Sicht von Kind steigende Mietpreise. »Die Leute bekommen keine Wohnung, wenn sie einmal Strom- oder Mietschulden haben. Da haben sie gegen andere Bewerber keine Chance.«

Nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes stellt sich die Situation mit der Wohnungsnot auf dem Land anders dar als im Berliner Umland. »In vielen Regionen herrscht erfreulicherweise kein Wohnungsmangel«, sagt Geschäftsführer Jens Graf. Doch auch Obdachlose wollten künftig in Städten oder gut angebundenen Gegenden wohnen. »Sie sind schon eingeschränkt in ihrer Mobilität. Wenn da auf dem Land kein Bus, kein mobiler Pflegedienst, fährt, dann sind die Menschen gezwungen, in die Stadt zu kommen.« Kind weiß: »Auch Obdachlose wollen nicht abgeschieden sein.«

Im AH Obdachlosenhaus in Brandenburg an der Havel wurde bereits ein Aufenthaltsraum zum Zimmer mit Betten umfunktioniert, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Die Einrichtung hat 36 Plätze. »Wir sind überbelegt. Und wir können keine Plätze streichen«, sagt Leiter Heinrich Holzrichter. Weiterer Wohnraum werde gesucht. »Obdachlosigkeit nimmt zu«, sagt Holzrichter, der seit 2004 beim Träger, dem Diakonischen Werk, ist.

Obdachlose zuerst gegen Corona impfen

Der Deutsche Ethikrat fordert, neben gefährdeten Berufsgruppen und älteren Menschen mit Vorerkrankungen auch Obdachlose und Menschen in Gemeinschaftsunterkünften als erstes gegen Corona zu impfen. Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) begrüßt das. Die Verteilung des zunächst noch knappen Impfstoffs müsse sich am Gefährdungsgrad einzelner Bevölkerungsgruppen orientieren, findet die Ministerin. »Wer unter schwierigsten Bedingungen auf der Straße oder gedrängt in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, ist einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt.« dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.