Rassismus gegen Weiße

Best of Menschheit, Teil 46: Rassismus

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Rassismus ist ein Witz. Ein menschenverachtender ganz gewiss, aber in seiner ganzen Konstruktion ist rassistisches Denken zutiefst albern.

Menschen angeblich gleicher Hautfarbe oder sonstiger als Gruppenmerkmale halluzinierter Äußerlichkeiten eine grundlegende Gleichheit des Wesens und der Fähigkeiten zu unterstellen, ist eine so dümmlich zugespitzte Konstruktion, dass sie eigentlich nur zum Lachen taugen sollte.Was zur Hölle haben zum Beispiel Roberto Blanco, Michelle Obama, Desmond Tutu, Barbara Becker, RuPaul und wer auch immer so besonderes gemeinsam, dass es für diese Individuen einen Sammelbegriff benötigt? Nichts, außer dass sie potenzielle Opfer des historisch in Europa gewachsenen und bis heute mindestens kulturell weltweit exportierten Rassismus sind.

Und nur deswegen benötigt es doch noch Sammelbegriffe - um sich gegen diese Menschenverachtung zu solidarisieren. Es hat Jahrhunderte der Sklaverei, des Herabwürdigens und Mordens gedauert, bis diese und andere simple Wahrheiten ein breiteres Publikum gefunden haben - ohne dass sich dadurch strukturell etwas geändert hätte. Weiterhin wird fröhlich bis grimmig biologisiert und Menschen in ein Repräsentantentum gezwungen. Und weiterhin sind die psychischen und physischen Schäden, die Rassifizierte durch dieses tiefsitzende System erleiden, hoch.

Weiße, also die Menschen, die sich ganz automatisch als Individuum verstehen können, haben es in diesem gezinkten Spiel noch immer einfach: Sie müssen eigentlich nur zuhören, was Betroffene ihnen erzählen, zum Beispiel in Büchern wie »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen« von Alice Hasters und obendrein bitte ein paar Gewohnheiten ändern. Viel mehr verlangt von ihnen eigentlich kaum jemand - obwohl viel mehr nötig wäre.

Aber Menschen wie der Rassismusexperte Dieter Nuhr entscheiden sich lieber dafür (natürlich ohne etwas davon gelesen zu haben), diese freundlichen Erklärungsversuche als Rassismus umzudeklarieren, der Rassisten erst zu Rassisten mache. Denn seinem weißen Millionenpublikum ist es unheimlich, auch einmal als Gruppe mit scheinbar inferioren Eigenschaften definiert zu werden. Und Volkes Stimme zum Zentrum der Vernunft zu erklären, ist ein zutiefst deutsches Geschäft. Der wahrhaft kleine Gedankenschritt, dass solche Bücher als Reaktion auf das geschehen, was die deutsche Mitte selbst produziert oder mindestens nicht verhindert, ist noch immer zu viel verlangt.

Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße, nur eine Reaktion auf den ursprünglichen, mit Imperialismus und Kapitalismus gewachsenen, die potenzielle Nutznießer dieser gesellschaftlichen Verwerfungen für Sekunden auch mal dem aussetzt, was Rassismus am anderen Ende bedeutet.

Aber hier gibt es wenigstens den letzten großen Spaß, den der vermaledeite Rassismus noch bietet: Diese Umkehrung kann im besten Falle den albernen Kern rassistischen Denkens lustig zum Vorschein bringen, denn zum einen nimmt man dabei nicht so viele Verletzungen ernsthaft Betroffener in Kauf, zum anderen wurden einfach noch nicht genug Witze über Weiße gemacht. Aber viel zu viele über die Nicht-Weißen, die keine wären, wenn Weiße sie nicht dazu gemacht hätten.

Wenn schon ein Humorfachverkäufer wie Nuhr sich als Opfer von Buchtiteln sieht, Gleichwertigkeit mit rassistischen Verbrechen implizierend, dann wurde bei weitem noch nicht genügend »Rassismus gegen Weiße« produziert, um die vom Volldieter gewünschte Gleichheit herzustellen.

(Es kann aber natürlich sein, dass ich mit all dem falsch liege. Wer weiß. Ich warte noch auf eine endgültige Erklärung, was Rassismus ist, von Martin Sonneborn. Zwinkersmiley.)

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -