Fröhlichen 54. November!

In der Pandemie ist politische Kommunikation elementar - sie wird leider immer schwammiger

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Warum entwickelte sich um das Bund-Länder-Treffen am Montag ein Kommunikationsdesaster? Und wer trägt daran die Schuld? Kein überraschender Spoiler: Alle Beteiligten.

Da ist zunächst das Kanzleramt. Man vereinbart kein Treffen zur Evaluierung und lanciert vorher weitreichende Beschlussvorlagen über die Medien – wenn man nicht will, dass die ansonsten gar nicht so einige Riege der Länderchefs sich geschlossen stur stellt. Das führt zum nächsten Problem: Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen kommen sowieso. Jetzt eben zehn Tage später. Rund zehn Tage Verzug, die eine Bekämpfung der Pandemie ungleich schwieriger machen werden. Bis dahin werden die Schulen weiter unkontrolliert offen bleiben, der ÖPNV am Morgen und Nachmittag weiter fahren. Ach, das sind gar keine Infektionstreiber? Deshalb sollen sich Schülerinnen und Schüler am Nachmittag möglichst nur noch mit einem Freund oder einer Freundin treffen, im vollen Klassenzimmer mit 30 anderen über Stunden ist das aber kein Problem? Weil es da Hygienekonzepte gibt? Es gibt auch sehr viele Digitalisierungskonzepte.

Und weil es in den leeren Fernzügen der Deutschen Bahn noch ungefährlicher ist als in vollen Bussen und Bahnen, ermöglicht es der Bund seinen Angestellten, zusätzliche Plätze zum Freihalten neben sich zu reservieren und übernimmt die Kosten bis Ende März, wie die »Süddeutsche Zeitung« berichtet? Das Virus scheint über ausgezeichnete Ortskenntnis zu verfügen und sich außerdem an feste Uhrzeiten zu halten. Es fällt schwer, nicht zynisch zu werden.

Natürlich ist die Kommunikation innerhalb einer Pandemie mit sich ständig wandelnden Parametern extrem schwierig. Kommen aber noch unterschiedliche Motivationen dazu, wird sie fast unmöglich. Und dann wirkt sie nicht mehr. Schulen sollen aus verschiedenen Gründen aufbleiben, vor allem ökonomischen – aber nicht, weil sie ungefährlich sind. Vielleicht sollen sie auch offenbleiben, um das länderübergreifende Versagen der letzten dreißig Jahre nicht zu offensichtlich werden zu lassen, was Personalmangel, Bausubstanz und hygienische Zustände, von Fenstern und Toiletten angeht. Von Digitalisierung gar nicht zu reden – aber die Konzepte sind bestimmt großartig! Und was ist eigentlich in sechs Wochen Sommerferien passiert, wenn die Schulen einen Tag vor Schulstart nicht wussten, wie der Betrieb nun laufen soll?

Man sollte diese Light-Variante einer Lockdown-Simulation übrigens auch nicht November-Lockdown nennen – es sei denn, der November hat im Jahr 2020 cirka 120 bis 150 Tage. Und wenn jetzt noch jemand »Weihnachten wie immer« als Ziel ausgibt - in einer Pandemie die wahrscheinlich doch nicht an feste Uhrzeiten hält und auch nicht zum 20. Dezember, entschuldigen sie, zum 50. November, verschwindet – man weiß gar nicht, was schlimmer wäre: Naiver tatsächlicher Glaube daran oder das Kalkül, dass man die Bevölkerung nur mit einer solchen Salamitaktik bei der Stange hält.

Schwammige Kommunikation sorgt für schwammiges Verhalten. Als im Herbst der Anstieg der Zahlen sichtbar wurde, änderten viele Menschen bereits ihr Verhalten wieder – ein Phänomen, das auch nachträglich sichtbar vor den Einschränkungen im März eintrat. Die zweite Welle ist diffuser, schwieriger zu handhaben – und auch die freiwilligen Einschränkungen gab es im Herbst nicht mehr in dem Maße wie im März. Ein fast sorgloser Sommer, ein anderer Blick auf das Virus und vielleicht auch Gewöhnung – gerade jetzt müsste politische Kommunikation klar sein: Was wird versucht um welches Ziel zu erreichen? Fragen Sie mal jemanden: Geht es um den R-Wert, die Intensivstationen, die Überlastung der Gesundheitsämter? Und welche Maßnahme hat eigentlich wie gewirkt, wenn sie frühestens nach zwei Wochen in den Zahlen ablesbar wären? Was aber kaum möglich ist, weil jeden Tag neue Ideen und Maßnahmen diskutiert werden, in Kraft treten, abgemildert werden, verschärft werden, aufgehoben werden, neu eingeführt werden, von Gerichten bestätigt oder verworfen werden ….

Nein, das Bund-Länder-Treffen war kein kommunikatives Ruhmesblatt. Aber eines scheint zumindest klar – einen normalen Weihnachtsabend wird es 54. November 2020 nicht geben. Auch wenn das nicht gut ist, dass Sie das schon vorher aus den Medien erfahren haben.

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