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Hilft Bildung?
2019 war die Armutsquote so hoch wie noch nie seit der Vereinigung.
Manche werden es nicht wahrhaben wollen, es leugnen oder kleinreden. Aber der aktuelle Armutsbericht macht deutlich: Die Armut in Deutschland hat im Jahr 2019 einen Negativrekord erreicht. Rund 13,2 Millionen Menschen lebten im vergangenen Jahr in Armut, der höchste Wert seit 30 Jahren. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Armutsbericht vom Paritätischen Wohlfahrtsverband hervor. Als arm gilt demnach, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat.
»Was wir seitens der Bundesregierung erleben, ist nicht mehr nur armutspolitische Ignoranz, sondern bereits bewusste Verweigerung«, kommentierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverband die Ergebnisse. Volkswirtschaftliche Erfolge kämen seit Jahren nicht bei den Armen an. Während auf der einen Seite der gesamtgesellschaftlich erwirtschaftete Wohlstand zunahm, stieg parallel dazu die Armut.
Zuvor hatte es zwar einen Rückgang der Armut um 0,3 Prozentpunkte gegeben, doch diese positive Entwicklung hielt nicht lange an. Die Armutsquote stieg 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 0,4 Prozentpunkte auf 15,9 Prozent an. »In den Jahren 2016 und 2017 war zu beobachten, dass der Anstieg der Armut ausschließlich auf Menschen mit Migrationshintergrund zurückzuführen war«, erklärte Schneider bei der Pressekonferenz zu dem Armutsbericht. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund sei in diesen Jahren die Armutsquote gesunken. Dieser Trend ist jetzt vorbei, bei beiden Gruppen gibt es mehr Armut.
Der Bericht macht auch deutlich, dass der Geldmangel je nach Region sehr unterschiedlich ist. Die einzigen Bundesländer, in denen die Armut im Vergleich zum Vorjahr abnahm, sind Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg. Besonders wenig Armut gibt es in Bayern und Baden-Württemberg. Negativer Spitzenreiter ist hingegen Bremen, jeder Vierte dort lebt in Armut. »Die vorliegenden Daten zur regionalen Verteilung, zur Entwicklung und zur Struktur der Armut zeigen Deutschland als ein in wachsender Ungleichheit tief zerrissenes Land«, so Schneider. Das problematischste Bundesland sei Nordrhein-Westfalen, jeder Fünfte dort ist arm. In dem bevölkerungsstärksten Bundesland gebe es eine alarmierende Dynamik, die Armutsquote ist dort seit 2006 um 33 Prozent angestiegen, zweieinhalb mal so stark wie die gesamtdeutsche Quote.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden die Armutszunahme noch weiter beschleunigen. »Corona trifft ökonomisch nur eine Minderheit und anscheinend vor allem Erwerbstätige mit ohnehin niedrigen Einkommen besonders stark«, stellte Schneider fest. Die Armut wird demnach wohl noch einmal ansteigen. Stellt sich die Frage, was das beste Mittel gegen die Entwicklung ist. Laut Schneider weder Bildung noch die Integration in den Arbeitsmarkt. Als politisches Ziel sei gegen beides überhaupt nichts einzuwenden, aber gegen die Armutsprobleme helfe dies nicht.
Was bringt gute Bildung, wenn die betroffenen Kinder trotzdem in Armut aufwachsen müssen? Was bringt Arbeitsmarktpolitik, wenn fast zwei Drittel der Armen bereits erwerbstätig sind und ein anderer großer Anteil bereits in Rente? »Es hilft also kein drum herumreden. Wenn wir Armut wirklich beseitigen wollen, müssen wir die Transferleistungen erhöhen«, resümierte Schneider.
Der Paritätische will die sofortige Anhebung der finanziellen Unterstützungsleistungen für arme Menschen, Reformen der Sozialversicherungen sowie eine Kindergrundsicherung. Mit einem Hartz-IV-Regelsatz von 644 Euro wäre die Einkommensarmut laut Schneider praktisch beseitigt. Das wären 212 Euro mehr als bislang. Anja Piehl, Vorstandsmitglied vom Deutschen Gewerkschaftsbund, forderte angesichts des Armutsberichts eine dauerhafte Austrocknung des Niedriglohnsumpfes. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass sich Menschen, die trotz Arbeit arm sind, frustriert abwenden. »Das verstellt nicht nur demokratische Teilhabe, sondern gefährdet gesellschaftlichen Frieden«, so Piehl. »Armut trotz Erwerbsarbeit ist und bleibt ein besonderer Skandal in Deutschland im 21. Jahrhundert.«
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