»Die Sahrauis wollen keinen Krieg«

Khadja Bedati über die Provokationen Marokkos und die Wirtschaftsinteressen in der Westsahara

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Lage in der Westsahara hat sich deutlich verschärft. Am 13. November hat die Frente Polisario nach fast 30 Jahren den Waffenstillstand mit Marokko aufgekündigt. Was war der Grund dafür?

Sahrauische Zivilisten hatten bereits gut drei Wochen vorher friedlich am Grenzübergang Guerguerat einen Durchbruch in der Mauer zwischen den besetzen Gebieten und Mauretanien blockiert. An diesem Tag kamen dann erst marokkanische Soldaten in Zivil, dann sind Truppen vor den Augen der UN-Friedensmission Minurso in die von der Polisario kontrollierte Pufferzone einmarschiert und haben die Demonstranten angegriffen. Das sehen wir als Verletzung des Waffenstillstands. Die Frente Polisario hatte Marokko vor diesem Schritt gewarnt.

Khadja Bedati

Die Sahraui ist 23 Jahre alt, besucht für die Kritischen Aktionär*innen die Aktionärsversammlungen großer Unternehmen, die in der besetzten Westsahara aktiv sind. Über den Zusammenhang zwischen dem Ressourcenreichtum und dem gerade neu eskalierenden Konflikt um das seit 45 Jahren von Marokko besetzte Land sprach mit ihr für »nd« York Schaefer.

Demonstriert haben die Sahrauis ja an mehreren Orten entlang der Mauer. Warum hat Guerguerat bei den Protesten so eine zentrale Bedeutung?

Weil die illegale Straße dort eine wichtige Handelsverbindung zwischen Marokko, Mauretanien und Teilen Westafrikas ist. Darüber werden zum Beispiel Gemüse und Fisch aus der Westsahara transportiert. Die Straße dient also der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unseres Landes.

Wo liegt der Zusammenhang zwischen dem Ressourcenreichtum der Westsahara und dem Konflikt mit Marokko?

In den von Marokko besetzten Gebieten gibt es viele global bedeutsame Wirtschaftsgüter wie das zweitgrößte Phosphatvorkommen der Welt, das in der Mine Bou Craa ohne die Genehmigung der Sahrauis abgebaut wird. Die Westsahara ist ein eigenständiges Land und die Unternehmen müssen sich klar darüber sein, dass die natürlichen Ressourcen dort den Sahrauis gehören und nicht Marokko. Wenn die EU und die dort aktiven Unternehmen ihre Verträge mit der Polisario, der völkerrechtlich anerkannten Vertretung der Sahrauis, schließen würden, wären alle Beteiligten auf der sicheren Seite.

Welche deutschen Unternehmen sind in der Westsahara aktiv?

Große internationale Player wie Siemens im Bereich Erneuerbare Energien, es gibt Zementfabriken von HeidelbergCement, die Continental AG lässt über ihre Tochterfirma ContiTech das Förderband der Phosphatmine in Bou Craa warten. Aber auch kleinere Firmen wie Köster Marine Proteins (KMP) aus Hamburg, die Fischmehl aus der Westsahara über die stadtbremischen Häfen importieren, machen dort Geschäfte. Bremen hat sich hier leider zu einem Hotspot entwickelt, über den große Teile des Fischmehlimports in die Europäische Union laufen. Die Polisario hat auch klar gemacht, dass alle ausländischen Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in den besetzten Gebieten stoppen sollen, da sie sonst wegen des Krieges ebenfalls gefährdet sind. Das betrifft auch die Aktivitäten im Meer und in der Luft.

Sie sprechen regelmäßig für den Dachverband der Kritischen Aktionär*innen auf den Aktionärsversammlungen der Unternehmen. Wie sind da die Reaktionen?

Unterschiedlich. Viele Unternehmen sagen, sie wollen Marokko nicht als Partner verlieren. Aber mit Siemens und HeidelbergCement zum Beispiel sind wir im Gespräch, sie bemühen sich darum, Lösungen zu finden. ContiTech aus Hannover dagegen verweigert es, mit uns zu reden.

Noch mal zurück zur diplomatischen Dimension des Konfliktes: Was erwarten die Sahrauis jetzt von der EU und der UN?

Die Lage ist so ernst wie nie zuvor in der Geschichte dieses Konfliktes. Die UN muss jetzt endlich ihrem Auftrag nachkommen und das Referendum über die Selbstbestimmung der Sahrauis organisieren und nicht nur mit der Minurso unsere Ausbeutung überwachen. UN-Generalsekretär Guterres hat erst Ende Oktober im Weltsicherheitsrat verkündet, dass die Lage in der Westsahara ruhig sei. Was versteht er unter ruhig? Die Sahrauis haben 45 Jahre lang Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Mord und Entführungen in besetzten Gebieten und die Armut und Perspektivlosigkeit in den Flüchtlingslagern ertragen. Wir haben gezeigt, dass wir warten können. Nun sind wir mit unserer Geduld am Ende.

Fürchten Sie, dass Marokko auf die Sahrauis in den besetzten Gebieten nun noch mehr Druck ausübt?

Das Leben der Menschen dort ist natürlich noch mehr in Gefahr, besonders auch das der politischen Gefangenen in marokkanischen Gefängnissen. Aber auch in den besetzten Gebieten ist die sahrauische Bevölkerung mit den aktuellen Entscheidungen der Polisario einverstanden. Ich habe vor allem Angst, dass viele unschuldige Zivilisten sterben könnten.

Ist der Beginn neuer Kämpfe auch dem Druck der Jugend in den Lagern und den besetzten Gebieten zuzuschreiben? Also ein Entgegenkommen? Viele jüngere Sahrauis befürworten ja schon länger einen erneuten Waffengang.

Nein, das ist kein Entgegenkommen. Die Polisario und die Sahrauis wollen eigentlich keinen Krieg. Auch ich bin für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Aber die Lage ist durch die Provokation Marokkos eskaliert.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.