Immer dahin, wo der Schmerz sitzt

Wer Mo Asumang trifft, hört die Geschichte einer Schwarzen Frau, die für ihre Filme mit Rassisten aus aller Welt sprach, die dabei aber nicht den Glauben an Menschlichkeit verlor.

  • Sabina Zollner
  • Lesedauer: 6 Min.

Zwischen den roten Backsteinen der Oberbaumbrücke und der kahlen Fassade des Watergates versteckt sich an der Berliner Spree ein kleines Ufer - das May-Ayim-Ufer - benannt nach der Dichterin und Aktivistin May Ayim, eine der wichtigsten Stimmen der Schwarzen Bewegung in Deutschland. 24 Jahre nach ihrem Tod sitzt an demselben Ufer Mo Asumang, Filmemacherin, Schriftstellerin und Autorin. Mo Asumang trägt eine dunkelgraue Jogginghose, Sneakers und eine Sonnenbrille. Unweit von ihr hören ein paar Jugendliche Reggae. Mo Asumang hat diesen Ort als Treffpunkt vorgeschlagen. Sie kannte May Ayim, erinnert sich an Abende in der Küche mit ihr und anderen Mitgliedern der Schwarzen Bewegung im Schöneberg der 90er Jahre. »Wir haben damals gemerkt, da sind noch andere, die das gleiche erlebt haben wie man selbst. Das war sehr schön. Und May Ayim hat das ganze angeschoben, dafür bin ich ihr sehr dankbar.«

Zwei Kilometer vom May-Ayim-Ufer entfernt liegt das Paul-Lincke-Ufer. Ein Ort, der für Asumang eine schlimme Erinnerung trägt. Dort wurde sie vor einigen Jahren am 1. Mai von fünf Polizisten verfolgt, zu Boden geworfen und verprügelt. Davon erzählt sie bei »Markus Lanz« in einer Diskussionsrunde über die Protestwellen in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd. Als Markus Lanz naiv beteuert, dass Deutschland doch eigentlich ein tolerantes Land sei, antwortet Mo Asumang mit einem sarkastischen Lächeln auf den Lippen: »Wenn Sie jetzt mit mir und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland so einen kleinen Ausflug nach Brandenburg machen würden, dann würden Sie es sehr wahrscheinlich ganz anders sehen.«

Mo Asumangs Erfahrungen mit Diskriminierung ziehen sich wie ein dunkles Band durch ihren Lebenslauf. Gleich nach ihrer Geburt wird die Familie aus ihrer Wohnung in Kassel geworfen - wegen der Hautfarbe des Babys. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Ghanaer. Doch auch als Teenagerin und Erwachsene erfuhr Asumang immer wieder Diskriminierungen. »Mir hat einfach die Community gefehlt. Alles war ein Struggle.« Ein Gefühl des Allseins bringt sie mit 17 fast so weit, sich das Leben zu nehmen. In den 90er Jahren studiert sie Klassischen Gesang an der Universität der Künste in Berlin und arbeitet nebenbei als Taxifahrerin. Eines Tages wird sie während der Fahrt von einem Neonazi mit einer Pistole bedroht, ein anderes Mal schlägt ein Rechtsextremer ihren Kopf gegen die Windschutzscheibe. Zur Anzeige hat sie diese beiden Fälle nie gebracht. »Ich komme aus diesem Background, unterdrückt und klein gemacht zu werden. Irgendwann denkst du, das gehört einfach dazu«.

Ablenkung vom Schmerz

Wenn sie heute über ihre Vergangenheit spricht, dann hört es sich so an, als wäre es nicht die ihre. Vielleicht auch, weil sie ihre Geschichte schon oft erzählt hat. Sie ist in die Öffentlichkeit gegangen, auch aus der Überzeugung heraus, andere Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu empowern. Doch es ist nicht nur ihre Geschichte, die sie in die Öffentlichkeit treibt. Bekannt wird Mo Asumang als erste afrodeutsche Moderatorin der Prosieben-Erotiksendung »Liebe Sünde«. Eigentlich wollte sie aber Opernsängerin werden oder Operndiva, wie sie es nennt. Was eine Operndiva sei, beantwortet sie mit: »Naja, die Berühmteste eben.« Doch dann kam das Berliner Nachtleben dazwischen. »Wenn du morgens um vier Uhr nach Hause kommst und dann um acht Uhr zum Gesangsunterricht musst, dann stell dir mal meine Stimme vor. Da kannst du Blues-Sängerin werden, aber nicht Operndiva«, sagt sie.

Heute denkt sie, das hat auch mit ihren Rassismuserfahrungen zu tun. »Dieses exzessive Nachtleben, das ich betrieben habe, war auch eine Suche oder eine Ablenkung vom Schmerz.« Als Asumang eine Morddrohung von der Nazi-Band »White Aryan Rebels« erhält, holt sie das Thema Rassismus wieder ein. Sie hatte das Bedürfnis, diesen Hass verstehen zu lernen und sich gleichzeitig ihrer Angst vor Rechten zu stellen. So entstand Asumangs Film »Roots Germania«. In dem Film geht es aber nicht nur um rechte Ideologien, sondern er ist auch eine Suche nach ihrer eigenen Identität. Dabei reist sie durch Deutschland und nach Afrika und spricht mit ihrer Mutter und ihrem Vater ganz persönlich über ihre Zugehörigkeit.

Später folgt ihr zweiter Film: »Die Arier«. In diesem Film trifft sie Neonazis aus der ganzen Welt und konfrontiert diese mit ihrer Ideologie. In einer Szene trifft Asumang einen NPD-Anhänger bei einer Kundgebung und fragt ihn, auf welche Art und Weise er Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland ausweisen will. Dieser antwortet, dass alle in ihre Heimatländer »zurückgeflogen« werden sollen. Asumang entgegnet: »Wie soll ich denn meine ganzen Möbel heimfliegen?« Es sind Szenen wie diese, die Asumangs Filme und ihre Art ausmachen. Ihre Offenheit und Authentizität stellt die Absurdität rechter Ideologien dar und entlarvt sie auf eine ganz eigene Art und Weise. Und genau das ist es, was Asumang an diesem Genre gefällt: Die Freiheit, die eigene Perspektive mit einzubeziehen, Menschen im Dialog zu konfrontieren und neue Dinge zu entdecken. Daran gefällt ihr auch, dass sie sich selbst von einer neuen Seite kennenlernt. »Ich muss überlegen, wie gehe ich jetzt mit dieser Situation oder mit dem Menschen vor mir um. Und das ist auch eine gewisse Spannung und ein Abenteuer.«

Es ist der Wunsch nach Gerechtigkeit, der Asumang sowohl in ihren Filmen als auch in ihrem 2016 veröffentlichten Buch »Mo und die Arier« immer wieder antreibt. Seit mehreren Jahren hält sie Vorträge an Schulen, bei denen sie über Rassismus aufklärt. Für ihr Engagement erhielt sie 2016 den Verdienstorden des Landes Berlin und im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz. Auch international war sie schon mit ihren Filmen und Büchern unterwegs. So hielt sie Vorträge an der Universität Yale in den USA zum Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Was sie besonders glücklich macht, ist, wenn sie nach einem ihrer Vorträge eine Nachricht bekommt, dass sich eine Gruppe in Schulen gebildet hat, die sich gegen Rassismus einsetzen will. »Das ist natürlich die Königsklasse.«

Wenn Mo Asumang mal keine Interviews gibt oder sich gegen Rechtsextremismus einsetzt, dann verbringt sie am liebsten Zeit im Garten, im Grünen, um aufzuatmen und aus der Stadt herauszukommen.

»Was mache ich da eigentlich?«

Ihre Art, auf Nazis zuzugehen, ihnen nicht mit Hass, sondern mit Aufgeschlossenheit zu begegnen, wurde ihr oft als naiv vorgeworfen. Auch in ihrem privaten Umfeld stieß sie mit ihrem Ansatz auf viel Unverständnis. Doch Asumang versteht die Kritik nicht: »Das Fatale ist ja genau, dass wir nicht mit denen sprechen. Nur weil sie eine andere Meinung haben? So what?«

Asumangs erster Film ist mittlerweile dreizehn Jahre alt, die AfD sitzt seit drei Jahren im Bundestag und Rechtspopulisten gewinnen weltweit mehr Anhänger. »Manchmal frage ich mich: Was mache ich da eigentlich? Ich rede mir den Mund fusselig in Schulen. Dann kommen Pegida und die AfD und alles wird noch schlimmer.« Wenn man sie fragt, was sie in den vergangenen Jahren über Rassismus gelernt hat, fallen ihr viele Dinge ein. »Ich habe gelernt, dass jedes Leben wertvoll ist.« Doch auch Asumang hat Grenzen. Für sie sei bei AfD-Politikern Hopfen und Malz verloren. »Manche haben mich falsch verstanden. AfD-Leute die ganze Zeit zu Talkshows einzuladen und ihnen eine Plattform zu geben, das habe ich nicht mit meinen Filmen gemeint.« Über die Strukturen solle man aufklären und sich auf die Wähler konzentrieren. Dahinter steckt ihr tiefer Glaube, dass Menschen sich ändern können. Das ist auch etwas, an das die Schwarze Aktivistin May Ayim geglaubt hat. Wie sie in ihrem Gedicht »Liebe« schreibt: »geben / ohne zu verlangen / nehmen / ohne zu besitzen / teilen / ohne warum / stark werden / für / die freiheit«.

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