Im Ausnahmezustand

Lichtenberg und seine Pflegeeinrichtungen kämpfen gegen die Pandemie

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

So resolut sie wirkt, die Corona-Pandemie bringt auch Benita Banditt an ihre Grenzen. »Ich hoffe, dass es besser wird - aber im Moment sieht es nicht danach aus«, erklärt die Leiterin des Seniorenzentrums »Kurt Winter« im Bezirk Lichtenberg. Seit sechs Jahren leitet die ältere Dame mit schwungvollem Haar und moderner Brille das Haus der Graf- Schwerin-Forschungsgesellschaft, die in Berlin noch drei weitere Einrichtungen betreibt. Banditt berichtet bei einer digitalen Konferenz, zu der das Regionalmanagement Gesundheitswirtschaft Lichtenberg gemeinsam mit dem Bezirksamt eingeladen hat, über die vergangenen acht Monate in ihrem Betätigungsfeld.

Ziel der Veranstaltung ist eine Zwischenbilanz zur Pandemie im Bezirk, der mit seinen knapp 295 000 Einwohner*innen in der Coronakrise ganz spezifische Probleme zu bewältigen hat. Hier leben viele alte Menschen, aber auch die meisten Alleinerziehenden im Gesamtberliner Vergleich und viele arme Menschen und Familien.

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Als hier im Frühjahr soziale Stützpunkte und Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft schließen mussten, betraf es sehr viele Menschen, die auf diese angewiesen sind. Der erste große Coronaausbruch in einem Berliner Pflegeheim fand bereits Ende April im Ortsteil Fennfuhl statt. Das Seniorenwohnhaus mit 76 Personen war über Nacht komplett geräumt worden. Zuletzt war ein Pflegeheim mit über 100 Bewohner*innen in der Gensinger Straße betroffen (»nd« berichtete). Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) verfügte hier eine Neubesetzung der Heimleitung, weil Schutzmaßnahmen mutmaßlich nicht ausreichend umgesetzt worden seien.

Benita Banditt ist verantwortlich für 120 Bewohner*innen. Die Personalsituation sei zum Glück »ausreichend«, befindet sie, Pflege- und Fachkräfte gebe es im Haus ebenso wie Therapeut*innen und einen Arzt. Die Coronasituation, so Banditt, habe die sonst »recht unbeschwerte Lage« deutlich verändert. Die Bewohner*innen, erzählt sie, hätten auf die Schließung die »von heute auf morgen« stattfand, zunehmend depressiv reagiert. »Die Betreuungskräfte konnten das nicht auffangen.«

Schwierig sei auch das Verhalten von Angehörigen gewesen. Es sei vorgekommen, dass Beschäftigten mit der Polizei gedroht wurde, weil sie Leute nicht in die Einrichtung gelassen hätten. Die Entspannung über den Sommer sei nun wieder hinfällig. »Wenn die Leute mich fragen, ob sie ihre Mutter über das Wochenende mitnehmen könnten, muss ich sagen: Das geht leider nicht.« Viele reagierten darauf noch immer mit Unverständnis, erklärt Banditt. Im besten Fall. »Manche werden auch ausfallend.« Oder sie gehen dann trotzdem mit ihren Angehörigen raus und bleiben mehrere Stunden weg.

»Man muss viel Kraft haben in dieser Zeit, es ist nicht einfach«, fasst die Leiterin die Situation für sich und die Menschen um sie herum zusammen.

Gefragt nach Unterstützung, lobt Banditt die Beschaffung von Schutzkleidung durch den Senat. Die vor nunmehr drei Wochen von Gesundheitssenatorin Kalayci angekündigten Schnelltests seien allerdings noch nicht da. »Wir dürfen selbst Tests kaufen, aber die dürfen nicht teurer als sieben Euro sein, weil wir nur diesen Betrag refinanziert bekommen.« 2400 Tests seien ihr für die Einrichtung in Aussicht gestellt worden, so dass 20 Tests pro Bewohner*in zur Verfügung stehen. »Wir sollen täglich testen, Bewohner, Angehörige und Beschäftigte« - wie das mit den 2400 Stück gehen soll, müsse man sehen. Die Einrichtung habe selbstverständlich einen Pandemieplan. Viele Szenarien könne man sich nicht vorstellen, es gehe hier auch um die Gefühle von Beschäftigten. »Wahrscheinlich sind sie cooler als noch zu Beginn der Pandemie«, hofft Banditt.

Das viele Mitarbeiter*innen im Gesundheitsbereich in der schwierigen zweiten Welle sozial sehr isoliert und deshalb auch besonders belastet sind, war auch Thema einer Gesprächsrunde, an der unter anderem Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) teilnahm. Er hofft, die zweite Welle der Pandemie im Bezirk vor allem durch bessere Kommunikation und Digitalisierungsmaßnahmen bewältigen zu können.

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