Der strahlende Held ist verschwunden
Elisabeth Edls elegante Neuübersetzung der »Éducation sentimentale« von Gustave Flaubert
Er schrieb und schrieb, und er fluchte wie immer, wenn er nicht vorankam. Wie ein Bär hockte er wochen- und monatelang in seiner Höhle, wendete die Wörter, verwarf sie und suchte von Neuem, schuftete, feilte, polierte, zerriss die Stille des Zimmers, indem er laut die Sätze brüllte und ihrem Klang nachlauschte. »Mein Roman geht piano«, schrieb Gustave Flaubert (1821-1880) seiner »lieben Meisterin« George Sand. »Je weiter ich komme, desto mehr Schwierigkeiten tauchen auf. Was für ein schwerbeladener Karren voller Bruchsteine, den ich da ziehen muss! Und Sie, Sie klagen über eine Arbeit, die sechs Monate dauert!«
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Gustave Flaubert: Lehrjahre der Männlichkeit
neu übersetzt von Elisabeth Edl. Carl Hanser, 800 S., geb., 42 €.
Er rackerte tagaus, tagein »wie ein Rasender«, ein Jahr und noch eins, und wusste lange nicht einmal, wie er sein Buch nennen würde. Es war sein viertes. Drei hatten einfach den Namen der Hauptfiguren erhalten: »Madame Bovary«, »Salammbô«, »Bouvard und Pécuchet«. Diesmal wusste er keinen Rat. Er bat Freunde, Ende 1866 auch George Sand, ihm zu helfen. Aber dann dauerte es noch einmal über zwei Jahre, bis er sich, »als letzten Ausweg«, zum Titel »Éducation sentimentale« entschloss. »Ich sage nicht, dass er gut ist«, schrieb er. »Doch bis jetzt gibt er die Gedankenwelt des Buches am besten wieder.«
Der Roman, 1869 in zwei Bänden erschienen, von vielen Kritikern missverstanden und arg gerupft, von Flauberts Kollegen Hugo, Maupassant oder Zola gepriesen, später bewundert, steht, wenigstens bei uns, noch immer im Schatten der »Madame Bovary«. Ist er, fragt jetzt Elisabeth Edl, »je wirklich angekommen in der deutschsprachigen Literatur?« Er wurde zwischen 1904 und 2001 zehnmal übersetzt und hieß »Die Erziehung des Herzens«, »Die Erziehung der Gefühle«, »Lehrjahre des Herzens«, »Lehrjahre des Gefühls«, »Die Schule der Empfindsamkeit« oder »Der Roman eines jungen Mannes«.
Einen verbindlichen Titel gibt es nicht, was vor allem daran liegt, dass für das französische »sentimentale« im Deutschen kein Wort zu finden ist, das deckungsgleich wäre. Elisabeth Edl, die diese »Geschichte einer Jugend« für den Hanser-Verlag neu übersetzt hat (und sich ausführlich auch mit der Suche des Autors nach einem passenden Titel und den damit verursachten Irritationen befasst), liefert für ihre Version eine weitere Variante: »Lehrjahre der Männlichkeit«.
Erzählt wird vom Jüngling Frédéric Moreau, den Flaubert aus der Provinz nach Paris schickt, damit er sich dort seiner Bildung widmet, und von seiner Leidenschaft für Madame Arnoux, die Unerreichbare, die er nicht mehr aus dem Kopf kriegen wird. Er ist durch eine Erbschaft zu Geld gekommen, gibt sich dem Pariser Leben hin, denkt geradezu zwanghaft an Madame Arnoux, lernt ihren verkommenen Mann kennen, begegnet Lebenslust, Bosheit und Verschlagenheit, wirft sich in die Arme von Rosanette und einer Dame der großen Welt, gerät 1848 in die chaotischen Tage der Revolution, schickt seine Eroberungen fort und steht am Ende als Gescheiterter da, einsam und enttäuscht, sehr müde und ohne Hoffnung. Geplatzt alle Liebesträume und auch die ehrgeizigen politischen Pläne, die er hegte.
Flaubert liefert ein bestechendes Porträt der eigenen Generation, die längst nicht mehr Herr des eigenen Schicksals ist. Fast alle im üppigen Personal sind Getriebene oder wenigstens Desillusionierte, gezeichnet ohne Mitleid, so kühl und erbarmungslos, wie es das vorher in der französischen Literatur nicht gab. Der strahlende Held, wie ihn Stendhal noch kannte, ist verschwunden, an seine Stelle tritt erstmals der Mittelmäßige, der es zum Gelingen nicht mehr bringt und auf ein Happy End nicht hoffen darf, der sich verheddert und ermattet und dem alles irgendwie zerrinnt. »Er reiste«, heißt es zum Schluss über Frédéric Moreau. »Er durchlebte die Melancholie der Dampfschiffe, das fröstelnde Erwachen unterm Zelt, den Rausch vor Landschaften und Ruinen, die Bitternis zerrissener Sympathie. Er kam zurück … Jahre verstrichen; und er ertrug den Müßiggang seines Verstands und die Trägheit seines Herzens.«
Elisabeth Edl, hochgelobt und mit mehreren Preisen bedacht, fasziniert auch diesmal mit einer Übersetzung von hoher Sensibilität, sprachlicher Präzision und Eleganz. Sie hat vor Jahren Stendhals große Romane »Rot und Schwarz« und »Die Kartause von Parma« sowie Balzacs »Verlorene Illusionen« in ein modernes, wunderbar lesbares Deutsch gebracht und beschert uns nun schon, nach »Madame Bovary« und dem Band »Drei Geschichten«, das dritte Lesevergnügen mit Flaubert.
»Für mich gehört die ›Éducation sentimentale‹«, sagt Hugo von Hofmannsthal, »zu jenen Büchern - wie wenige gibt es ihrer, wie sehr wenige! - die uns durchs Leben begleiten.« Sein Lob steht im Klappentext dieser schönen Ausgabe, die man als ein besonderes Geschenk betrachten darf. Denn Elisabeth Edl krönt ihre Neuübersetzung auch diesmal mit einem starken Anhang, der neben ihrem hilfreichen Nachwort eine glänzende Einführung in die Welt Flauberts, Anmerkungen, eine Zeittafel zur Biografie sowie eine Chronologie zur französischen Politik bringt. Und der Verlag, der den Band in seiner vorzüglichen Klassik-Reihe vorlegt, hat wieder für die besondere Ausstattung gesorgt: blaues Ganzleinen, bestes Dünndruckpapier und als optisches Signal ein markanter Schutzumschlag von Peter-Andreas Hassiepen.
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