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Wenig denken, weit springen, treffen
Die deutschen Handballerinnen starten mit einem Sieg in die EM.
Es kann manchmal wirklich hilfreich sein, den Kopf auszuschalten. Zumindest hat das Marlene Zapf so beschrieben. »Gar nicht viel nachdenken«, erklärte die Rechtsaußen des deutschen Nationalteams ihr Erfolgsgeheimnis, »dann weit springen und den Ball reinwerfen.« Beim 22:19-Sieg der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zum Auftakt der Europameisterschaft gegen Rumänien erzielte die 30-Jährige von der TuS Metzingen am Donnerstagabend in Kolding auf diese Weise den letzten Treffer der Partie und sicherte damit den Auftakterfolg ab, der ihr Team dem Zwischenziel Hauptrunde einen großen Schritt näher brachte.
Nach dem achten Rang bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr sind die Wünsche aber größer geworden - für die Spielerinnen ist das Halbfinale der große Traum. »Wir sind mal dran«, hatte Emily Bölk vor dem ersten Anwurf in der Gruppe D gesagt und damit den Willen des Teams unterstrichen, das bei drei der zurückliegenden vier Turniere jeweils nur knapp an der Medaillenrunde vorbeigeschrammt war. Die Rückraumspielerin war gegen die Rumäninnen nicht nur ihrer vier Tore wegen eine der auffälligsten Akteurinnen der DHB-Auswahl - und wurde danach vom Veranstalter offiziell zur besten Spielerin gekürt. Das dürfte auch ihren Trainer gefreut haben.
Für Henk Groener müssen die ersten 60 Minuten seines Team bei dieser Europameisterschaft trotz des guten Ausgangs ein Martyrium gewesen sein - denn der Bundestrainer konnte sich die Partie nur via Internet-Livestream anschauen. Nach einer Corona-Infektion verpasste der Niederländer sowohl die komplette Vorbereitung als auch das erste Gruppenspiel seiner Handballerinnen und wurde in dieser Zeit über weite Teile von Alexander Koke vertreten. Dass der Co-Trainer erst ein paar Tage später zum Team stieß, weil er sich in häuslicher Quarantäne befand, unterstreicht, wie außergewöhnlich sich die Situation des deutschen Nationalteams im Vorfeld des Großturniers darstellte. Der Erfolg gegen die Rumäninnen ist deshalb hoch einzuschätzen, denn die Spielerinnen stemmten sich erfolgreich gegen alle Widrigkeiten.
Das hat auch damit zu tun, dass es in den vergangenen Monaten einen Wandel innerhalb des Kaders gegeben hat, der vielen Spielerinnen zu mehr Selbstständigkeit verholfen hat. »Sie müssen aus ihrer Komfortzone«, hatte Groener noch vor einem Jahr gefordert und damit gemeint, dass die größten Talente den Sprung in eine der europäischen Topligen wagen sollten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass das sportliche Niveau der ersten Liga in Deutschland dem anderer Nationen hinterherhinkt. Der Bundestrainer hoffte darauf, dass die Spielerinnen charakterlich wachsen, wenn sie das gewohnte Umfeld verlassen.
Der Vorgabe des Niederländers folgten einige: Emily Bölk und Julia Behnke wechselten zu Ferencvaros Budapest nach Ungarn, Ann-Cathrin Giegerich ebenso, zum Debreceni VSC. Dinah Eckerle spielt im französischen Metz, Evgenija Minevskaja beim SCM Ramnicu Valcea in Rumänien. Hinzu kommt Alicia Stolle, die wie Bölk und Behnke für Ferencvaros aufläuft, wegen einer Corona-Infektion aber auf die EM verzichten muss. »Ich glaube, so etwas bringt jeden in seiner Entwicklung weiter«, ist Behnke überzeugt, die schon in der Vorsaison in Rostow am Don in Südrussland spielte. Die Erfahrungen im Ausland sollen die deutschen Handballerinnen nicht nur sportlich voranbringen, sondern auch außerhalb des Feldes reifen lassen. Offenbar trägt das bereits Früchte, denn sie ließen sich im Vorfeld der EM nicht aus der Konzentration bringen, auch nicht durch einen kurzfristigen Wechsel des Spielortes vom norwegischen Trondheim ins dänische Kolding.
Auch auf dem Spielfeld macht sich diese neu gewonnenen Stärke bemerkbar. Vor einer Handvoll Zuschauern trotzte die DHB-Auswahl in Kolding einer Schwächephase, die den Rumäninnen den 15:15-Ausgleich zu Beginn der zweiten Halbzeit ermöglichte. Nervenstark stemmten sich die deutschen Spielerinnen, die mit einer 8:2-Führung formidabel ins Match gekommen waren, gegen einen möglichen Rückstand. Bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr in Japan hatten sie in kritischen Situationen häufig noch den Kopf verloren.
In Dänemark gilt es nun, unter Beweis zu stellen, dass der Lerneffekt von Dauer ist. Zunächst ging es nach dem ersten Erfolg aber darum, Kopf und Körper Ruhe zu gönnen. Viel Zeit für Müßiggang bleibt indes nicht, schon an diesem Sonnabend warten im zweiten Gruppenspiel die Norwegerinnen. Mit einem weiteren Sieg wäre die Qualifikation für die Hauptrunde schon vor dem Gruppenfinale am Montag gegen Polen perfekt. Doch diese Aufgabe hat es in sich - schließlich sind die Norwegerinnen mit sieben Titeln Rekordeuropameister, zählen auch beim Turnier in Dänemark zu den heißen Medaillenkandidaten und ließen den Polinnen in der ersten Partie mit 35:22 keine Chance.
Aber die Skandinavierinnen treffen auf ein selbstbewusstes deutsches Team. »Der Sieg gegen Rumänien hat uns gutgetan, er war wichtig«, sagte Rückraumspielerin Bölk: »Jetzt hauen wir gegen Norwegen wieder alles rein und wollen gewinnen.« Außerdem macht die jüngere Vergangenheit Hoffnung: Vor zwei Jahren gelang bei der EM in Frankreich in der Vorrunde ein überraschender Erfolg gegen Norwegen.
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