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- Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
Schwieriges Gedenken im Naturschutzgebiet
Im sächsischen Zeithain ringt ein Verein seit 2010 vergebens um einen Lehrpfad, der an das Schicksal von Kriegsgefangenen erinnern soll
Ein Zug rollt durch den Bahnhof Jacobsthal: flache Waggons, darauf Metallteile, vermutlich aus dem nahe gelegenen Stahlwerk, sagt Peter Franke. Als das Rattern der Räder verklingt und sich die Schranke hebt, steht der Bahnhof wieder verwaist da: ein zweistöckiges Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, das vernachlässigt wirkt. Züge, sagt Franke, halten hier schon lange nicht mehr.
Vor fast 80 Jahren war das anders. Fotos aus den frühen 1940er Jahren zeigen Menschenmassen vor dem Bahnhof Jacobsthal. Es sind triste Bilder. Dicht gedrängt stehen Männer in abgerissenen Uniformen und mit verhärmten Gesichtern. Es sind sowjetische Soldaten, die von der Wehrmacht nach dem Überfall des NS-Regimes auf die UdSSR im Juni 1941 zu Tausenden gefangen genommen und in Lagern interniert wurden: hinter der Front, in den besetzten Gebieten und auf dem Gebiet des Deutschen Reichs. Eines der größten lag in Zeithain, gut eine Autostunde nördlich von Dresden unweit der Elbe. Auf einem Militärgelände wurde dort bereits ab Juli 1941 das Stammlager Stalag 304 (IV/H) errichtet, in einer baumarmen Heidelandschaft, in der die Gefangenen anfangs in Erdlöchern und im Schlamm hausen mussten. Der Bahnhof Jacobsthal, auf dem sie ankamen, war für sie das Tor zu einem Ort, den man sich kaum verlassener von jeglicher Menschlichkeit vorstellen kann. Die hygienischen Zustände und die Verpflegung waren miserabel; Krankheiten wie Fleckfieber grassierten. »Im Schnitt gab es 20 Tote pro Tag«, sagt Peter Franke. Bis die Rote Armee das Lager im April 1945 befreite, kamen in Zeithain bis zu 30 000 sowjetische Kriegsgefangene und einige Hundert Italiener und Polen um. Mehr NS-Opfer sind an keinem Ort in Sachsen zu verzeichnen.
An das Leiden der Opfer und die Verbrechen der Täter wird in der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain erinnert; Peter Franke, ein Lehrer für Geschichte und Englisch, leitet ihren Förderverein. In der Gedenkstätte gibt es eine informative und sehr anschauliche Ausstellung, die versucht, die Atmosphäre in den später errichteten Lagerbaracken nachempfinden zu lassen. Das Äußere des Gedenkortes prägen ein Obelisk und ein Portal aus rotem Porphyr, die mit rotem Stern sowie dem Emblem von Hammer und Sichel auf die Entstehungszeit kurz nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone hinweisen. In einer 1985 eingerichteten Ausstellung wurde zunächst ausschließlich an sowjetische Opfer erinnert; nach Ende der DDR wurde sie umgehend geschlossen. Gut zehn Jahre später wurde eine neue, historisch korrektere Schau eröffnet, die maßgeblich auf das Engagement des Fördervereins zurückgeht. Er betrieb zunächst ab 1998 auch die Gedenkstätte, bevor sie 2002 unter das Dach der Stiftung Sächsische Gedenkstätten genommen und von ihr gefördert wurde.
Das Problem mit der Gedenkstätte ist: Sie liegt fast zehn Kilometer vom eigentlich authentischen Ort entfernt. Der Ehrenhain entstand an einer Stelle, an der ein Lazarett des Stalag 304 betrieben wurde. Auch dort starben Gefangene; auch dort gibt es Gräber. Die Namen der Toten sind auf rostroten Säulen zu lesen, die über dem Rasen verteilt errichtet wurden. Der eigentliche Ort des Leidens aber befindet sich in der weitläufigen Heidelandschaft jenseits des Bahnhofs Jacobsthal, die bis 1992 Übungsgelände für russische Panzer war. In dem 300 Hektar großen Areal gibt es einen weiteren großen Friedhof, auch er ist mit einem Obelisken versehen, auf dem in 24 Massengräbern 12 000 Tote liegen. Daneben erinnert auf den ersten Blick nichts mehr an das einstige Lager.
Der Eindruck trüge aber, sagt Franke: »Wir haben Fundamente von Arrest-, Küchen- und Entlausungsbaracken gefunden; wir kennen den Verlauf der Lagerstraße.« Zu verdanken ist das der Arbeit junger Menschen, die an den seit 17 Jahren veranstalteten Sommercamps teilnehmen: jährlich 15 bis 20 Jugendliche aus Deutschland, Russland, Italien, Polen, aber auch aus Mexiko und von den Philippinen. Unter Anleitung einer Expertin betreiben sie »Spurensuche«, die einem hohen fachlichen Maßstab gerecht werde. »Wir wissen sehr viel über das Lager«, sagt Peter Franke: »Wir könnten auf dem Gelände einiges zeigen.« Es gibt deshalb die Idee, einen Lehrpfad einzurichten - seit zehn Jahren.
Der ist bisher aber noch nicht entstanden, weil über die Fundamente nämlich nicht schlicht Gras gewachsen ist; das ehemalige Lagergelände ist vielmehr Teil einer heute ökologisch sehr wertvollen Landschaft. Mit seinen offenen Grasflächen, Trockenheidearealen und Binnendünen gehört es zum Naturschutzgebiet (NSG) »Gohrischheide und Elbniederterrasse Zeithain«. Dort, wo sich einst das von Stacheldraht eingezäunte Lagergelände befand, erstrecken sich heute Flächen, die als Flora-Fauna-Habitat und als europäisches Vogelschutzgebiet ausgewiesen sind. Unter anderem sind wertvolle Restvorkommen der Purpurkönigskerze zu finden. Das Gebiet, so teilt das Umweltamt des Landkreises Meißen mit, sei »aus Gründen des Naturschutzes«, aber auch wegen der Munitionsbelastung auf dem ehemaligen Militärgelände »für die Öffentlichkeit gesperrt«.
Über die Frage, wie die berechtigten Belange des Naturschutzes und die nicht minder gerechtfertigten Interessen der Erinnerungskultur in Übereinstimmung zu bringen sind, wird seit geraumer Zeit gerungen. Die Fläche, in der sich das einstige Kriegsgefangenenlager und das Naturschutzgebiet überschneiden, betrifft laut Förderverein ein Prozent des heutigen NSG. Bereits im November 2010 fand eine Beratung statt, auf der die Beteiligten feststellten, dass ein Geschichtslehrpfad auf dem Areal »grundsätzlich möglich« sein sollte. Die Gedenkstättenstiftung, so hieß es in Punkt 2 des Protokolls, solle einen entsprechenden Antrag stellen. 2011 erstellte ein Berliner Büro zunächst einmal erste Entwürfe für den Lehrpfad. Unter anderem sollten zweidimensionale Installationen aus Holz die Lage und Größe der Baracken nachempfinden lassen. Die Naturschutzbehörde sah darin indes Bauwerke, die im fraglichen Gebiet auf keinen Fall errichtet werden dürften. Man habe die Stiftung offenkundig »verschreckt«, sagt Franke. Das Amt legte, so die Sicht des Fördervereins, ein Veto ein.
Wesentlich weiter hat sich die Debatte seither nicht entwickelt. Das wiederum, so ist zu hören, lag an der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und an deren langjährigem Geschäftsführer Siegfried Reiprich und dessen Verhältnis zu Erinnerungsorten an die NS-Zeit im Allgemeinen sowie Zeithain im Speziellen. Reiprich war in der DDR politisch schikaniert worden. Der von ihm geführten Stiftung wurde vorgeworfen, sich stärker um die Erinnerung an Unrecht in DDR und Sowjetischer Besatzungszone zu kümmern als um jene an NS-Verbrechen. Das zeigte etwa die Verteilung der Fördergelder. Das Verhältnis zum Förderverein in Zeithain war besonders gespannt. Reiprich nannte diesen einmal einen »sehr politisch denkenden Verein«, was alles andere als anerkennend gemeint war.
Aus dem Verein kommt die Kritik, die Stiftung habe die Gedenkstätte in der Frage des Lehrpfads und der Kontroverse mit der Naturschutzbehörde hängenlassen. Das Kreisumweltamt in Meißen teilt mit, es liege »bisher kein Antrag auf Einrichtung eines Lehrpfads (...) vor«. Grund sei, dass Reiprich »nicht in den Ring gestiegen« sei, klagt man in Zeithain. Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter stützt diese Sicht. Dass der Konflikt in all den Jahren nicht gelöst wurde, sagt er, liege wesentlich an der »Untätigkeit des Geschäftsführers«. Richter war im August in Zeithain: als Berichterstatter des Petitionsausschusses im Landtag, an den sich der Förderverein 2019 gewandt hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte es in der Stiftung eine wichtige Veränderung gegeben. Nach einem zynischen NS-Vergleich war Reiprich im Juli suspendiert worden. Die Suche nach einem Nachfolger läuft. Damit, so hofft man in Zeithain, könnte Bewegung in die Frage des Lehrpfads kommen. Bei dem Termin im August, bei dem neben Förderverein und Gedenkstättenstiftung auch Vertreter des Staatsbetriebs Sachsenforst, des Landesamtes für Archäologie und der Naturschutzbehörde anwesend waren, hatte Richter nicht den Eindruck, dass es Hindernisse gebe, »die man nicht ausräumen könnte«. Der Abschlussbericht des Petitionsausschusses zu Zeithain dürfte nächste Woche im Landtag behandelt werden.
Auch die Naturschutzbehörde sendet versöhnliche Signale. Der Eindruck eines Vetos in der Sache »entspricht nicht den Tatsachen«, heißt es auf Anfrage des »nd«. Die Behörde teilt vielmehr mit, dass seit 2011 zwei Naturlehrpfade im NSG »Gohrischheide und Elbniederterrasse Zeithain« angelegt wurden. Solche Pfade seien »aus landeskundlichen, geschichtlichen oder naturschutzfachlichen Gründen« zulässig, wenn sie mit dem Schutzzweck des NSG und den Erhaltungszielen der Richtlinie Natura 2000 vereinbar seien. Ziel der Naturschutzbehörde sei es, »einen schutzgebietsverträglichen Lehrpfad umgehend einzurichten«, betont die Behörde. Man habe auch Anträge für Untersuchungen und Besucherführung »ausnahmslos zugelassen«. Das letzte Wort in Sachen Lehrpfad, so merkt die Behörde an, habe indes der Denkmalschutz. Das Areal ist, wie auch der Förderverein betont, das »größte zusammenhängende Bodendenkmal Sachsens«.
Frank Richter würde es begrüßen, wenn Bewegung in die Angelegenheit kommt. Das einstige Kriegsgefangenenlager in Zeithain habe »eminente und auch nationale Bedeutung«, sagt er: wegen der hohen Zahl an Opfern, wegen ihrer internationalen Herkunft, aber auch, weil über Kriegsgefangenenlager, anders als über Konzentrationslager, noch zu wenig bekannt sei. Bisher gibt es keine nationale Gedenkstätte zu diesem Thema. Derzeit wird die Gedenkstätte Stalag 326 im westfälischen Holte-Stukenbrock als Anwärter gehandelt. Die nicht weniger bedeutsame Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, so merkt man dort zerknirscht an, sei von einer solchen Prominenz weit entfernt; sie erhalte nicht einmal Fördergeld vom Bund - als einzige Gedenkstätte unter dem Dach der sächsischen Stiftung.
Immerhin sieht es so aus, als könnte Bewegung in den Streit um den Lehrpfad kommen. Er wäre wichtig, das Ausmaß der im Stalag 304 verübten Verbrechen »auch optisch deutlich zu machen«, sagt Richter. Peter Franke vom Förderverein träumt bereits von Radtouristen, die einen Abstecher vom Elbe-Radweg zum Lehrpfad unternehmen, oder von Schulklassen aus der Region, denen Verbrechen des NS-Regimes nicht mehr im KZ Buchenwald nahe gebracht werden, sondern in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Um das möglich zu machen, soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden. Die Gedenkstättenstiftung solle den Antrag bei den Behörden für die Errichtung des Lehrpfads auf den Weg bringen und sich auch um Geld vom Land bemühen, sagt Peter Franke. Wie lange es dauert, bis der Lehrpfad eingerichtet ist, bleibt indes offen. Der Teufel steckt weiter im Detail, etwa wenn es darum geht, die Lage und Dimension der Baracken zu veranschaulichen. Es gebe, merkt die Naturschutzbehörde an, »im Umfeld der Gedenkstätte (...) auch Interessen, welche die Einrichtung einer Gedenkstätte innerhalb des Naturschutzgebietes anstreben, die vom Umfang und von der Intensität der Flächeninanspruchnahme nicht mehr ohne weiteres (...) zugelassen werden kann«. Man habe die Gedenkstättenstiftung »auf die Anforderungen der dann erforderlichen Verfahren hingewiesen«. Es geht um eine Planfeststellung mit Gutachten und Sachverständigen, die erneut viel Zeit verschlänge. Ob es dazu kommt oder eine einvernehmliche Lösung gefunden werde, sei »vor allem eine politische Frage«, heißt es im Umfeld der Gedenkstätte. Frank Richter glaubt, dass eine Einigung auch für die Installation gefunden wird, die die Baracken markieren soll: »Es geht um das Wie, nicht um das Ob.«
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