Bis die Hütte brennt

Berlin und Brandenburg diskutieren Verlängerung der Schulferien

  • Rainer Rutz und Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Angesichts der angekündigten generellen Verschärfung der Corona-Maßnahmen prüft die Berliner Bildungsverwaltung für die Schulen der Hauptstadt eine einwöchige Verlängerung der Weihnachtsferien. Der Schulstart würde sich damit auf den 11. Januar verschieben. »Wir sind konkret in den Abstimmungen«, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Mittwoch. Zugleich betonte sie, dass die Verlängerung noch nicht beschlossen sei. Eine etwaige Entscheidung machte Scheeres davon abhängig, ob es auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens »einen richtigen Cut« geben wird. »Wenn es Verschärfungen gibt, dann kann das nicht nur an den Schulen sein.«

Dessen ungeachtet war die Bildungsverwaltung der Hauptstadt am Vortag schon einmal vorgeprescht. »Angesichts der kurzfristig zu erwartenden Berichterstattung in den Medien möchte ich Sie rechtzeitig einbeziehen und Sie vorab über aktuelle Entwicklungen informieren«, heißt es in einer Mail an die Schulleitungen, die der Landeselternausschuss am Dienstagabend öffentlich machte. Demnach plane der Senat, die zusätzliche unterrichtsfreie Woche »zur Abklärung des Infektionsgeschehens in Berlin und an den Schulen zu nutzen«.

Die Coronalage in der Hauptstadtregion

- Von den insgesamt 292 659 Schülern in Brandenburg befinden sich mit Stand vom Mittwoch 12 455 in Quarantäne. 551 sind positiv auf das Coronavirus getestet.

-Unter den 24 159 Lehrern in Brandenburg befinden sich 912 in Quarantäne, 162 haben sich mit dem Virus angesteckt.

-Neun der 915 märkischen Schulen sind wegen Corona derzeit komplett geschlossen. An 166 offenen Schulen sind 377 Lerngruppen in Quarantäne geschickt.

-In Brandenburg haben sich in den vergangenen sieben Tagen 155,9 Menschen je 100 000 Einwohner infiziert. Den mit Abstand höchsten Wert erreicht mit 374 der Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Die Zahl der gemeldeten Todesfälle stieg am Mittwoch um 20 auf 501.

-Für Berlin sind die neuesten Zahlen zur Situation der Schulen vom Freitag. Demnach waren zu dieser Zeit keine Schulen komplett geschlossen, aber 600 Lerngruppen. 1012 Schüler (0,3 Prozent) und 378 Personen des Personals (0,97 Prozent) waren positiv getestet.

-In der Hauptstadt erhöhte sich die Zahl der Todesfälle laut Lagebericht vom Dienstag um 33 auf 732. Die Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen liegt bei 190,7. af

Vorbehaltlich einer endgültigen Senatsentscheidung sollen sich die Schulen dabei bereits auf einen möglichen Fahrplan für die Woche einstellen. So sind die Schulleitungen angehalten, zunächst den Krankenstand unter dem pädagogischen Personal und dann unter der Schülerschaft zu ermitteln. Auf dieser Basis sollen die Gesundheitsämter und Schulaufsichten im Anschluss gemäß dem Stufenplan der Bildungsverwaltung für jede einzelne Schule festlegen, wie es hier ab dem 11. Januar weitergehen soll. Wobei es den weiterführenden Schulen freigestellt werden soll, ob sie »unabhängig von der Einstufung in den Stufenplan Hybridunterricht bis zum 15. Januar 2021 anbieten«. Das heißt, ab Klasse 7 könnte es einen Mix aus Präsenzunterricht und Daheimbeschulung geben. Im Stufenplan gilt dieses »Alternativszenario« als Ultima ratio, als Alarmstufe Rot.

Die Mitteilung der Bildungsverwaltung an die Schulen ist insofern bemerkenswert, als das Haus von Senatorin Scheeres zum einen regelmäßig dafür kritisiert wird, dass es relevante Informationen für die Unterrichtsplanung stets zu spät verschickt. Zum anderen laufen die Ankündigungen Scheeres’ Mantra zuwider, die Schulen könnten offenbleiben, weil es an ihnen kein nennenswertes Infektionsgeschehen gebe. Die Senatorin lobte am Mittwoch dann auch noch einmal ihren Stufenplan und verwies darauf, dass die Zahl der Corona-Fälle an den Schulen rückläufig sei. »Das Infektionsgeschehen ist nicht hoch, aber wir nehmen die Situation sehr ernst.«

Das macht auch der Berliner Landeselternausschuss. »Eine Verlängerung der Ferien lehnen wir aber klar ab«, sagt Ausschussvorsitzender Norman Heise zu »nd«. Die Schüler hätten seit März schon viel Zeit verloren. »Hier zählt jetzt jeder Tag.« Die Elternvertretung wie auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin fordern daher, dass es beim Unterrichtsstart am 4. Januar bleibt, die Schulen aber umgehend in das Alternativszenario wechseln. »Wir haben nach den Herbstferien gesehen, wie die Infektionszahlen zeitversetzt nach oben gegangen sind«, sagt Heise. Dem sollte mit halbierten Klassen – einem vorübergehenden »Lockdown plus Bildung« – unbedingt vorgebeugt werden. Das alles sollte jetzt rasch »auf koordinierte Füße gestellt werden«.

Reichlich unkoordiniert wäre eine Ferienzeitverlängerung für Berliner Schüler auch mit Blick auf das Land Brandenburg. Berlin und Brandenburg haben nämlich stets parallel Schulferien. Dies allein aus praktischen Gründen. Schließlich könnten etliche Familien Probleme bei der Urlaubsplanung bekommen, wenn etwa der Sohn auf eine Grundschule in Brandenburg geht und die Tochter auf ein Gymnasium in Berlin.

Nun ist es mit Urlaubsreisen im Moment zwar Essig. Die märkische GEW macht sich trotzdem für eine Anpassung der Ferienzeiten in Brandenburg stark. Die Gewerkschaft geht dabei sogar weiter und will die Ferien nicht nur um eine Woche nach hinten verlängern, sondern sie auch schon eine Woche früher am 14. Dezember beginnen lassen. Im Potsdamer Bildungsministeriums will man davon – zumindest derzeit – nichts hören. Eine Verlängerung der Ferien sei nicht geplant, heißt es auf nd-Anfrage.

Kathrin Dannenberg, Chefin der Linksfraktion im Landtag, rechnet dennoch damit, dass es »ungeplant« zu verlängerten Weihnachtsferien kommt. Insbesondere in Südbrandenburg seien die Infektionszahlen hoch und steigen noch weiter, so dass es nach Überzeugung von Dannenberg »unverantwortlich« wäre, die Schulen dort nicht zu schließen. Schon jetzt seien viele Klassen in Quarantäne und Schüler und Lehrer erkrankt, weil sie wegen des notwendigen Lüftens durch geöffnete Fenster in kalten Klassenräumen sitzen mussten. »Wir sind schon lange nicht mehr im Regelunterricht.«

Wie Berlins Elternsprecher Norman Heise hält auch Dannenberg den mit verlängerten Ferien einhergehenden Unterrichtsausfall für hoch problematisch. Vor allem für die Kinder, die Stoff verpassen, aber auch für die berufstätigen Eltern, die keine Urlaubstage mehr haben und nicht wüssten, wohin mit ihren Kindern.

Nach Überzeugung von Dannenberg hätte die rot-schwarz-grüne Koalition alles versuchen müssen, um den Unterrichtsausfall durch Corona-Maßnahmen zu verhindern. Die Linke hätte immerhin auch einiges vorgeschlagen. So sollten Klassen geteilt und Schüler in kleineren Gruppen unterrichtet werden. Die Schulbusse sollten öfter verkehren, damit sie nicht überfüllt sind, auch sollten Luftreiniger für die Klassenräume angeschafft werden. Nichts davon sei geschehen, kritisiert Dannenberg. »Ich gehe davon aus, dass die Schulen geschlossen werden, weil gewartet wird, bis die Hütte brennt.«

Die Berliner Bildungsverwaltung rudert derweil ein Stück weit zurück. So prüfe man nun zusätzlich die Option einer zwar unterrichts-, aber nicht lernfreien Woche, also einer Woche, in der Schüler »Lernmaterial erhalten und Lehrkräfte Kontakt halten und ansprechbar sein würden«, so ein Sprecher zu »nd«. So oder so: Wichtig sei vor allem eines – die »Infektionsketten nach den Weihnachtsfeiertagen zu unterbrechen«.

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