- Berlin
- Habersaathstraße
85 Mal Leerstand
Das Haus in der Habersaathstraße in Mitte soll beschlagnahmt werden
In seiner letzten Sitzung vor der Winterpause hat die Bezirksverordnetenversammlung Mitte (BVV) das Bezirksamt in einem Beschluss dazu auffordert, die leerstehenden Wohnungen im Gebäude Habersaathstraße 40-48 zu »Pandemiewohnungen« umzuwandeln. Insbesondere Wohnungslose aus Risikogruppen seien in der derzeitigen Lage durch die Unterbringung in Sammelunterkünften gefährdet, heißt es darin. Bereits im Juni hatte die BVV Anstrengungen zur Rekommunalisierung des Gebäudes gefordert.
Ende Oktober hatten Aktivist*innen mit und ohne Obdach mehrere Wohnungen in der Habersaathstraße 46 besetzt (»nd« berichtete). Sie forderten die Beschlagnahme des Plattenbaus durch das Bezirksamt Mitte, um dort selbstverwaltet wohnen zu können. Trotz einer laufenden Prüfung wurde das Haus nach wenigen Stunden unter großem Polizeiaufgebot geräumt. Im Nachgang hieß es seitens des des Bezirksbaustadtrats Ephraim Gothe (SPD), eine Beschlagnahme nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) sei in diesem Fall nicht verhältnismäßig gewesen, da für Obdachlose alternative Unterbringungsmöglichkeiten, also Wohnheimplätze vorhanden seien.
Der ehemalige Wohnblock für Beschäftigte der Charité sorgt seit Jahren für Streit zwischen Mieter*innen, einem Investor und dem Bezirksamt. Der Besitzer, die Arcadia Estates GmbH, möchte den Plattenbau aus den 1980er Jahren am liebsten abreißen lassen und an der Stelle Luxusapartments hochziehen. Ein Großteil der Bewohner*innen ist schon ausgezogen, allen Parteien wurde gekündigt. Das Bezirksamt verweigerte jedoch die Abrissgenehmigung. Nun steht die überwiegende Mehrzahl der Wohnungen bereits seit mehreren Jahren leer.
Einzug noch vor Weihnachten?
»Unser oberstes Ziel im Fall der Habersaathstraße ist, den jahrelangen Leerstand zu beenden«, sagt Sven Diedrich von der Linken in der BVV zu »nd«. Dafür solle das Bezirksamt alle infrage kommenden Rechtsgrundlagen prüfen, darunter auch das ASOG. »Insbesondere in der aktuellen Pandemiesituation ist es fraglich, ob man Obdachlose in Sammelunterkünften unterbringen kann«, so Diedrich.
Die Initiative »Leerstand Hab ich Saath« begrüßte die Entscheidung der BVV. »Nur aufgrund des massiven Drucks durch die Besetzung von wohnungs- und obdachlosen Menschen Ende Oktober ist endlich Bewegung in die Sache gekommen. Nun erwarten wir die zügige Umsetzung dieses Beschlusses«, so Sprecherin Valentina Hauser. Sie fordert, dass bis Weihnachten die ersten Menschen einziehen. »Uns geht es darum, dauerhaften Wohnraum in der Habersaathstraße wiederherzustellen. Aber auch die Pandemiewohnungen würden ja unmittelbar benötigt«, sagt sie zu »nd«. Viele der Besetzer*innen seien weiterhin obdachlos und der Politik gegenüber sehr skeptisch. Das liege auch daran, dass sich die Unterbringung durch den Bezirk je nach Bezirksamt unterschiedlich schwer gestalte. »Einem unserer Mitstreiter wurde die Einweisung verweigert.«
Eine weitere Möglichkeit, den Leerstand zu beenden, besteht in der Anwendung des Zweckentfremdungsverbots. Demzufolge darf »schützenswerter Wohnraum« nicht abgerissen werden. Sollte dennoch eine Abrissgenehmigung erteilt werden, muss gleichwertiger Ersatzwohnraum zu einer Miete von maximal 7,92 Euro nettokalt pro Quadratmeter geschaffen werden. Darüber streitet das Bezirksamt vor dem Verwaltungsgericht mit dem Besitzer. Eine Wiederzuführungsanordnung durch das Bezirksamt habe das Gericht für unverhältnismäßig erklärt, erläutert die zuständige Bezirksstadträtin Ramona Reiser (Linke) auf nd-Anfrage.
Gericht entscheidet über Abriss
Die Abrisspläne begründe der Vermieter unter anderem mit unzureichenden Fluchtwegen ab dem dritten Stockwerk, so Sven Diedrich. Er hält das für fraglich und hofft darauf, dass das Verwaltungsgericht zugunsten des Bezirksamtes urteile. »Noch in diesem Jahr könnte es dazu eine Entscheidung geben.«
Die Initiative »Leerstand Hab ich Saath« gibt sich derweil kämpferisch. Für den Fall, dass nicht bald eine Umsetzung des BVV-Beschlusses anstehe, kündigt sie weitere Protestaktionen an. »Für Heiligabend ist eine Kundgebung vor dem Gebäude geplant, um auf die unmögliche Situation dort hinzuweisen. Gerade im Corona-Winter sollte niemand draußen oder in überfüllten Unterkünften schlafen müssen. In der Habersaathstraße gibt es 85 leerstehende Wohnungen«, so Valentina Hauser.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!