- Berlin
- Straßenbahnen
Politik der lahmen Linien
Straßenbahnen sind seit Fahrplanwechsel offiziell noch langsamer
Seit dem Fahrplanwechsel am Sonntag ist die Hälfte der Straßenbahnen Berlins langsamer geworden - zumindest auf dem Papier. Von »ordentlich Fahrtzeitzugabe« schreibt der Personalrat der Straßenbahn in einer Nachricht an die Beschäftigten. Die M10 braucht nun laut Fahrplanauskunft morgens im Berufsverkehr eine Minute länger von der Warschauer Straße zum Hauptbahnhof - 37 Minuten statt bisher 36. Ganze drei Minuten mehr sind es demnach bei der M1 vom Kupfergraben stadtauswärts. Bis Rosenthal Nord sind die Züge nun 55 Minuten unterwegs, die Endhaltestelle Schillerstraße des zweiten Streckenastes ist in 53 Minuten erreicht.
Alle 22 Straßenbahnlinien wurden »einer last- und richtungsabhängigen Fahr- und Verlustzeitanalyse« unterzogen, »um uns damit unserem Ziel der Schaffung von ›Fahrbaren Fahrzeiten‹ wieder etwas näher zu bringen«, berichtet der Personalrat. In der Folge wurden die Fahrplanzeiten auf den Linien 12, 18, 21, 60, 68, M1, M5, M6, M8, M10 und M13 gestreckt. Meist geht es nur um eine Minute - und das auch nicht zu jeder Tageszeit an jedem Wochentag. Inzwischen gibt es für jede Linie acht verschiedene Fahrzeitprofile, auf der Linie M1 beträgt der Fahrzeitunterschied bis zu acht Minuten.
»Wir haben lange für die Fahrzeitzugaben gekämpft«, sagt Personalrat Andreas Haupt zu »nd«. »Alle profitieren davon«, ist er überzeugt. Die Fahrgäste von einem verlässlicheren Angebot, und die Beschäftigten hätten eher die Chance, die ihnen zustehenden Pausen zu bekommen. Der Kampf bezieht sich vor allem auf den Aufgabenträger, denn verlängerte Fahrzeiten bedeuten, dass für die gleiche Beförderungsleistung mehr Geld fließen muss.
»Es wurden Fahrzeitreduzierungen, Fahrzeitverlagerungen und auch Fahrzeitzugaben zum 13. Dezember eingearbeitet. Die Größenordnung ist dabei in aller Regel so gering, dass sie für die Fahrgäste kaum wahrnehmbar sein dürften«, sagt Markus Falkner, Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe auf nd-Anfrage. Als Gründe nennt er höhere Fahrgastzahlen oder auch eine steigende Behinderung durch den Individualverkehr sowie die Nichtbevorrechtigung an Ampelanlagen.
»Es ist wichtig, dass das Personal mit in der Realität fahrbaren Fahrplänen arbeiten kann«, sagt Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg zu »nd«. »BVG und die Senatsverkehrsverwaltung für Verkehr stehen aber in der Verantwortung, diese Zeiten wieder reinzuholen«, fordert er.
Seit Jahren verliert die Berliner Straßenbahn Tempo. Von 2004 bis 2019 ging es von 19,6 Kilometer pro Stunde runter auf 18,8 Kilometer. Beim Bus sank die Geschwindigkeit sogar von 19,6 auf 18 Kilometer pro Stunde.
Die langsamste Tramlinie war 2019 die M10, die durchschnittlich mit nur 15,4 Kilometern pro Stunde durch die Stadt schleicht. Am Frankfurter Tor in Friedrichshain sieht man zumindest einen Grund dafür. Innerhalb der mehr als anderthalbminütigen Ampelphase haben die Straßenbahnen ganze fünf Sekunden grün. Früher gab es noch eine zweite Grünphase für die Tram. Da zudem der Bahnsteig zu kurz für zwei Züge ist, kann es bei gleichzeitigem Eintreffen von M10 und 21 auch mal drei Minuten dauern, bis die zweite Bahn die Kreuzung queren kann. Solche Beispiele finden sich zuhauf im Netz.
»Wenn man es ernst meint, dass der Öffentliche Personennahverkehr Vorrang hat, muss man das eins zu eins umsetzen«, sagt SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf zu »nd«. Er weiß um die vielen Probleme durch Personalmangel und geteilte Zuständigkeiten, die sich auch in der äußerst schleppenden Ausweisung von Busspuren zeigen. »Wenn aber auf Neubaustrecken wie in Adlershof oder an der Turmstraße die Straßenbahn nicht vernünftig bevorrechtigt wird, liegt das allein in der Verantwortung der Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther«, so Schopf.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.