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Sympathischer Mob in Grünweiß
Leipzig-Leutzsch ist für jeden rechtschaffenen Fußballfan eine Reise wert. Zum einem wegen der Besonderheit des engen Stadions, zum anderen ob der Anwesenheit vieler heißsporniger Chemiker und des sich hin und wieder daraus ergebenden »Handels«. Als Jungfan ließ ich 1979 dort meinen ersten Schal.
Kein Volkspolizist begab sich gern in die finsteren Ecken rund ums Stadion, wo eifrige Sachsen mit fetten Zaunlatten bewaffnet auf ihre auswärtige Beute lauerten. Gefühlt hatten sich bei Chemie alle Gestörten Leipzigs versammelt, um schlecht gelaunt gegen die ewige Benachteiligung durch die DDR-Fußballbonzen anzurennen. Bis zur Wende war es kein ungefährliches Unterfangen, als Auswärtsfan ins Revier der Grünweißen einzudringen. Gäste waren Fremdlinge und auf Punkteklau aus, sie mussten streng behandelt werden - es war laut, voll, proletarisch. Auch die nonkonforme Subkultur der Blueser und langhaarigen Kunden hatte es sich bei Chemie gemütlich gemacht.
Die Legende sagt, als Gott einst im Chemie-Schlafanzug erwachte, zog er eine böse Fratze und biss dem Nächstbesten die Nase ab.
In den 70ern und frühen 80ern waren Auswärtsfahrten im Osten generell echte Abenteuer. Es gab null Blocktrennung, die Heimfans kannten keine Gastfreundschaft. Die anonyme Meute wartete nur darauf, die Sage ihrer Unbezwingbarkeit zu besingen. »Schlagt den Thüringern/Preußen/ Sachsen/Fischköppen die Schädeldecke ein«, war ein lieb gewonnenes Sangesmotiv, das vielkehlig landauf, landab verkündet wurde. Die Stehränge waren bevölkert von rauen, rotnasigen Arbeitern, die am Wochenende im Stadion ihren derben Spaß haben wollten: Bier, Raufereien und dreckige Witze, im Suff auch gern mal gegen die Obrigkeit.
Um die Wendezeit sanken überall die Zuschauerzahlen, bei Chemie sah man nun nicht mehr nur langhaarige Kunden, sondern auch Glatzen mit entsprechendem Auftreten. Nur ein »Leutzscher ist ein Deutscher« war Programm, schwarzrotgolden die Nasenspitzen.
Die 90er waren auch keine schöne Zeit auf den Sportplätzen des Ostens: Rassismus und Homophobie an der Tagesordnung, erst durch die aufkommende Ultrabewegung änderte sich in den Nullerjahren langsam das Blatt. Ultra war schnell in Leutzsch angekommen (böse Zungen behaupten jedoch, der Verein hieß angeblich zwischendurch mal Sachsen Leipzig und spielte ab und zu im Zentralstadion), nannte sich Diablos Leutzsch. Großartige Choreos, Fahnenschwenkerei und Dauergesang wurden Standard.
Plötzlich tauchten immer mehr Frauen und Brillenträger im Stadion auf. Der einstige Proletenklub legte eine sympathische Wandlung hin. Die Leidenschaft liegt aber in der DNA des Vereins. Der Mob tobt wie eh und je, es ist ja naturgemäß auch eine feine Sache, wenn es von Anbeginn auf den Rängen heiß hergeht. Nun aber dominiert im Stadion wieder Grünweiß statt Schwarzrotgold, und die deutschen Leutzscher halten die Klappe.
Der zänkische Chemie-Anhang geht gern auf die Barrikaden, wenn er seine Mannschaft benachteiligt wähnt. Gefühlt alle zwei Minuten greifen die grausamen Hände Mordors nach dem Stolz der misstrauischen Chemiker, ob es nun eine Mücke ist, die sich auf den Bizeps eines Fans verirrt hat, oder eine schwerwiegende Schiedsrichterentscheidung - die Haare sind in Leutzsch immer auf Krawall gebürstet.
Besonders der originäre Kurvenhit »Chemie Leipzig, Chemie Leipzig, ich träume jede Nacht von Chemie Leipzig« hat es mir angetan. Einmal hätte ich ihn sogar fast mitgesungen. Freilich ziemt sich das für einen Jena-Fan gesetzmäßig nicht.
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