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Spielball der Elite
Persepolis könnte die asiatische Champions League erstmals gewinnen - für Irans Regime wäre das auch ein politischer Triumph. Von Ronny Blaschke
Tausende Zuschauer säumen die Straßen, Hunderte Darsteller nehmen in Kostümen an der Parade teil. Im Jahr 1971 feiern der autoritäre Schah und etliche Staatsgäste 2500 Jahre iranische Monarchie. Auch der Fußball spielt eine feierliche Rolle, denn im selben Jahr geht der Meistertitel erstmals an den jungen Verein Persepolis, benannt nach einer Hauptstadt des antiken Perserreiches.
Wenige Jahre später, 1979, die Islamische Revolution: Die Religionsführer wollen persische Symbole aus dem Alltag tilgen. Sie benennen Persepolis in Azadi um, Frieden, und später in Pirouzi, Sieg. Doch Zehntausende Fans besingen in den Stadien weiter Persepolis. Gegen diese Mobilisierung kann die Ordnungsmacht wenig ausrichten, und so erhält der Verein 2012 offiziell seinen alten Namen zurück. Es ist heute eines der wenigen antiken Symbole, das auch in der Islamischen Republik unantastbar ist.
Es geht also nicht nur um Fußball, wenn Persepolis an diesem Samstagnachmittag nach seinem ersten Titel in der asiatischen Champions League greift. Der Gegner im Finale, das wegen Corona in Katar stattfindet, kommt aus dem südkoreanischen Ulsan. »Mit Persepolis können sich religiöse und säkulare Perser identifizieren«, sagt der freie Journalist Behrang Samsami. Zu den Anhängern gehören auch persisch-sprachige Minderheiten aus Afghanistan und Zentralasien. »Der Klub ist als sportpolitisches Instrument von großer Bedeutung.«
Hinter Persepolis und überhaupt dem Fußball versammelt sich die iranische Machtelite: Politiker, Religionsgelehrte, Militär. Bereits 2002 übernahm ein Kommandeur der Revolutionsgarden den Persepolis-Vereinsvorsitz. Die paramilitärische Organisation ist in milliardenschwere Projekte eingebunden, in Ölindustrie, Baugewerbe, Kultur. Mit dieser Unterstützung ist Persepolis zum iranischen Rekordmeister aufgestiegen, mit nunmehr zwölf Titeln.
Für andere Bevölkerungsgruppen verkörpert Persepolis dagegen den Zentralismus, der von der Hauptstadt Teheran ausgeht. Zu spüren bekommen das vor allem Fans des Klubs Tractor in Täbris, im aserbaidschanisch geprägten Nordwesten des Iran. »Die nicht-persischen Ethnien haben nicht die Möglichkeit, ihre Sprachen und Kulturen auszuleben«, sagt Behrang Samsami, der auch Mitarbeiter im Deutschen Bundestag ist. »Fans von Persepolis beleidigen Fans von Tractor seit Langem als Esel.« Wissenschaftler und Aktivisten kritisierten 2010 in einem Brief an die Fifa dieses diskriminierende Überlegenheitsdenken.
Die iranischen Klubs stehen unter der Kontrolle von Ministerien und Staatsbetrieben. Der Sportminister sei Anhänger von Persepolis, heißt es bei vielen Fans von Esteghlal, dem großen Rivalen in Teheran. In Monarchie-Zeiten hieß Esteghlal noch Taj, Krone, und war ein Sammelbecken für Unterstützer des Schahs. Persepolis indes war eher der Klub der Arbeiter. Gegenüber der »Frankfurter Allgemeinen« schilderte vor Kurzem einmal ein iranischer Trainer, wie Persepolis von der Politik bevorzugt werde. Der Serienmeister könne etwa zu weit entfernten Auswärtsspielen fliegen, während die Konkurrenz viele Stunden lang mit dem Bus reisen müsse.
Laut einer Erhebung des Asiatischen Fußballverbandes ist Persepolis der Verein mit den meisten Anhängern in Asien. Auch unter den mehr als zwei Millionen Iranern in der Diaspora ist die Unterstützung groß. Persepolis besitzt wertvolle Immobilien in Teheran und knüpft ein verzweigtes Mediennetzwerk. Mehrfach hat das iranische Sportministerium eine Privatisierung von Persepolis in Aussicht gestellt, aber stets verschoben. Könnte sich der Klub - ohne die politische Isolation des Iran - zu einer international strahlenden und wertvollen Fußballmarke entwickeln? Vielleicht auf dem Niveau von Galatasaray in Istanbul oder Boca Juniors in Buenos Aires?
Christoph Becker, Sportredakteur der FAZ und Spezialist für den Iran, begründet die Wachstumshemmungen mit nationalen Problemen: »Der iranische Fußball ist von undurchsichtigen Strukturen und von Vetternwirtschaft geprägt.« Mit den Stadien, die dem Staat gehören, können Klubs wie Persepolis kein Geld verdienen. Die Einnahmen aus Fernsehrechten sind gering. Auch der Verkauf von Fanartikeln ist nicht lukrativ, da das Recht am geistigen Eigentum unzureichend geschützt ist. Viele Fans fertigen sich Schals und Fahnen selbst.
Die iranische Wirtschaft ist seit Jahren in der Krise, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast dreißig Prozent. Offiziell macht das Regime die Wirtschaftssanktionen der USA verantwortlich, aber auch die Rivalen in der Region, vor allem Israel und Saudi-Arabien. Und für diese Schuldzuweisungen muss auch der Fußball herhalten: Kurz vor dem siegreichen Halbfinale der Champions League gegen den saudi-arabischen Verein Al Nasr wurde Issa Alekasir gesperrt, der wichtigste Stürmer von Persepolis. Alekasir hatte beim Torjubel zum wiederholten Male seine Zeigefinger an die Augen geführt, angeblich um einen Neffen zu grüßen. Der Asiatische Fußballverband legte ihm das als antiasiatischen Rassismus aus. Auf iranischer Seite wurde die Sperre als Verschwörung von Saudi-Arabien gewertet.
Die Iraner haben ein folgenreiches Jahr hinter sich. Ende 2019 protestierten Zehntausende gegen das Regime, mehrere Tausend wurden dabei mutmaßlich getötet. Anfang Januar wurde ein ukrainisches Linienflugzeug von iranischen Raketen abgeschossen. Zudem ist der Iran hart von Covid-19 betroffen. Die wenigen Nationalspieler, die sich zur Inkompetenz im Regime äußern, werden ins Sportministerium vorgeladen, etwa Voria Ghafouri von Esteghlal.
Führende Politiker sehen die Schuld bei »fremden Mächten«. Erst recht, nachdem der iranische Kommandeur Qasem Soleimani von einer US-Drohne getötet wurde. »Es gibt Druck auf die Spieler, sich für das Regime positionieren«, sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion im Deutschen Bundestag und Fan von Persepolis. »Doch dieser Drück gehört zum Alltag aller.«
Nun könnte Persepolis erstmals Asiens Champions League gewinnen. Für die Fans wäre das wie ein Ventil, sagt Nouripour. Doch auch die Religionsführer könnten das für sich nutzen. Obwohl der Vereinsname an das antike Perserreich erinnert, einer Zeit, in der es den Islam noch gar nicht gab.
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