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Verfassungsschutz-Interna zum Jahrestag

Ein Zeuge im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss lässt tief blicken.

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einer Gedenkminute für die Opfer eröffnet der Ausschussvorsitzende Klaus-Dieter Gröhler am Donnerstag die Sitzung des Untersuchungsausschusses im Bundestag: Zum vierten Mal jährt sich an diesem Samstag das Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, bei dem 12 Menschen starben und mindestens 67 zum Teil schwer verletzt wurden.

Vier Zeugen werden in der dreizehnstündigen Sitzung vernommen. Noch immer fördern die Parlamentarier*innen Versäumnisse der Sicherheitsbehörden zutage. Allen voran erneut das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern. 2016 waren beim dortigen Verfassungsschutz Hinweise einer Quelle aufgelaufen, die auf Anschlagsplanungen in Berlin zu Ramadan hindeuteten. Die selbe Quelle berichtete 2017 dann von möglichen Mitwissern des Anschlags vom Breitscheidplatz. Als die Verfassungsschützer nach dem Anschlag in der Pflicht standen, ihre Erkenntnisse an die Generalbundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt weiterzuleiten, passierte vor allem eines: nichts.

Staatssekretär Thomas Lenz wirkt beratungsresistent, als Benjamin Strasser (FDP) ihm die rechtlichen Grundlagen darlegt, nach denen die Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten seien. Lenz rechtfertigt, es habe keine tatsächlichen Anhaltspunkte gegeben, und der Verfassungsschutz könne »es fachlich noch vertreten«, die Erkenntnisse nicht weitergeleitet zu haben. Rechtsgrundlagen beeindrucken Lenz dabei wenig: »Ich habe das in 30 Jahren so erlebt, dass sich für jede Aussage irgendein Professor findet, der das anders sieht.« Strasser lässt ihm das nicht durchgehen und erklärt lakonisch: »Das war das Bundesverfassungsgericht.«

Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic will wissen, wie es sein könne, dass Verfassungsschutzchef Reinhard Müller weiterhin im Amt ist. Lenz lässt tief blicken. Er habe das nicht zu vertreten. Es sei letztlich der ehemalige Innenminister Lorenz Caffier (CDU) gewesen, der Müller im Amt gehalten habe. Für die Zuschauer*innen bietet sich ein zunehmend abstruses Bild. Lenz hatte sich vergangene Woche im Landtag in Schwerin selbst verteidigt. Fehler sucht er in erster Linie bei den Berliner Behörden. Doch nicht einmal sein CDU-Parteikollege Alexander Throm lässt ihm diese Darstellung durchgehen. Lenz gerät immer mehr in die Defensive und diskreditiert erneut den ehemaligen Verfassungsschützer und Whistleblower T.S., der 2019 die Versäumnisse seiner Behörde an die Generalbundesanwaltschaft gemeldet hatte. Ganz nebenbei erfährt das Publikum durch Lenz Interna wie die eigentlich geheim zu haltende Zahl der Stellen beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern.

Lenz belastet sich zusehends selbst und muss einräumen, ein Schreiben des Berliner Verfassungsschutzes unautorisiert öffentlich vorgetragen zu haben. »Das war dann Geheimnisverrat«, stellt Benjamin Strasser nüchtern fest.

Für den Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) verläuft die Vernehmung unspektakulär. Er war 2016 erst wenige Tage im Amt, als der Anschlag verübt wurde. Mit Personalaufwuchs in den Sicherheitsbehörden kann er Kompetenz zeigen, und er räumt selbstkritisch Fehler im Umgang mit den Opfern und Hinterbliebenen ein, den das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales organisierte. »Die Schreiben, die da herausgegangen sind: Dafür schämen wir uns«, sagt Geisel.

Bei den Zeugen aus dem Bundesinnenministerium beißen die Parlamentarier*innen dann scheinbar auf Granit. Sowohl Staatssekretär Hans-Georg Engelke als auch der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière bieten wenig Angriffspunkte. Kaum eine justiziable Einlassung ist zu finden. »Wenn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum alle Sicherheitsbehörden sitzen, dann kann man nicht sagen, das sei ein reiner Polizeifall«, ordnet de Maizière die Aussage seines ehemaligen Verfassungsschutzchefs Hans Georg Maaßen ein, der nach dem Anschlag diesen Eindruck erweckt hatte. Dass sich de Maizière 2017 noch schützend vor seinen Beamten gestellt hatte, zeigt seine Auffassung von einer unbedingt notwendigen Solidarität innerhalb der kleinen Gruppe verantwortlicher Sicherheitspolitiker. Eine Erklärung, warum er nicht einschritt, als sich Maaßens Sicht der Dinge zunehmend als Fakenews herausstellte, liefert de Maizière nicht.

Irene Mihalic kritisiert den intransparenten Umgang des Ministers mit den Fakten zum Anschlag. Eine Chronologie, die auf den Seiten des Innenministeriums einsehbar ist und den Stand vom Jahresende 2016 wiedergibt, zeichnet mittlerweile ein Zerrbild vom Fall des Attentäters Anis Amri. Wesentliche Erkenntnisse fehlen. Weder dem amtierenden Bundesinnenminister Horst Seehofer noch de Maizière, der bis Mitte März 2018 die Verantwortung trug, scheint an transparenter Aufarbeitung gelegen zu sein. »Auf ihre Frage, warum wir das nicht weiter aktualisiert haben: Das weiß ich nicht«, so de Maizière.

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