Werbung

Bremer greifen nach den Sternen

Firmenkonsortium möchte von der Nordsee aus kommerzielle Kleinsatelliten ins All befördern

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was für eine Geschichte, was für eine Chance!« Geradezu enthusiastisch muten die Worte an, mit denen der FDP-Abgeordnete Hauke Hinz in der Bremer Bürgerschaft ein Vorhaben bekränzte, von dem er selbst sagte, es klinge »wie aus einem Science-Fiction-Film«. Doch die Planung eines Weltraumbahnhofs in der Nordsee ist mehr als Utopie.

Verwirklichen wollen ihn vier Bremer Firmen, die jetzt ein Konsortium ins Leben gerufen haben: die German Offshore Spaceport Alliance GmbH, kurz Gosa. Beteiligt an jener Gesellschaft sind mit jeweils 25 Prozent der Satellitenhersteller OHB, das Meerestechnik-Unternehmen Tractebel Doc Offshore, die Satelliten- und Funktechnikfirma Media Mobil sowie die Reederei Harren und Partner. Begleiten wollen das Projekt zudem die Logistik-Dienstleister BLG sowie die Versicherungsgruppe Lampe & Schwartze, beide ebenfalls in Bremen zu Hause.

Sie alle hoffen, dass erstmals 2023 etwa 250 Kilometer nordwestlich der ostfriesischen Insel Borkum kleine Raketen starten, sogenannte Microlauncher. Von Bord eines Schiffes abgeschossen, könnten sie Kleinsatelliten mit bis zu einer Tonne Gewicht in den Weltraum transportieren. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Erdbeobachtungen für die Agrarwirtschaft zählen dazu, Navigationsaufgaben im Bereich der Logistik, Assistenz beim autonomen Fahren und Klimaforschung, um nur einige Beispiele zu nennen. Basishafen der Schiffe, die als Abschussplattformen dienen, soll Bremerhaven sein.

Raketenstarts in der Nordsee seien »strategisch wie wirtschaftlich sinnvoll«, betont der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er hat ein Strategiepapier für den Weltraumbahnhof der Bundesregierung vorgelegt. Innerhalb von zwei Jahren lasse sich das Vorhaben »in Form eines privatwirtschaftlichen Betreibermodells mit staatlicher Unterstützung« realisieren, heißt es in einer Information des Lobbyverbands. Der Staat müsse sich nicht an Kauf, Umbau oder Betrieb des Projekts beteiligen. »Stattdessen notwendig wäre ein Zuschuss des Bundes für die Initialkosten in der Anfangsphase«, schreibt der Verband. Eine solche »Anschub-Investition« erfordert nach derzeitigen Kalkulationen rund 30 Millionen Euro aus dem Steuersäckel. Den Betrieb der Plattform würde von den jeweiligen Nutzern, also den Auftraggebern der Raketenstarts, bezahlt.

Allein bis 2028, so schätzt der BDI, werden weltweit knapp 10 000 Satelliten ins All befördert, 86 Prozent davon Kleinsatelliten. Diese Entwicklung verändere auch den Bedarf an Trägerraketen, so der Industrieverband. Derzeit entwickeln in Deutschland drei Unternehmen Microlauncher: Isar Aerospace im bayerischen Ottobrunn, die Firma HyImpulse aus Neuenstadt (Baden-Württemberg) und die OHB-Tochter Rocket Factory in Augsburg.

Ähnlich optimistisch wie der Industrieverband blicken die Mehrheiten der Länderparlamente sowie die Regierungen von Bremen und Niedersachsen dem Nordsee-Projekt entgegen. In der Hansestadt äußerte sich Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) angesichts der Gosa-Gründung erfreut darüber, dass die »Kompetenzen in der Raumfahrt in Bremen mit den maritimen Kompetenzen in Bremerhaven« verbunden werden. Ihre Kabinettskollegin Claudia Schilling (SPD), Senatorin für Wirtschaft und Häfen, hatte dem Weltraumbahnhof in einer Sitzung der Bürgerschaft vorhergesagt, er würde »Just-in-Time-Verbindungen aus Europa ins All ermöglichen und damit zur strategischen Souveränität Europas in der Raumfahrt beitragen«.

Auch im niedersächsischen Landtag waren die geplanten Raketenstarts Thema einer aktuellen Stunde. Dort machte sich, wie in Bremen, die FDP besonders stark für das Projekt, offen dafür zeigten sich zudem die Koalitionspartner SPD und CDU. Unkenrufe gab es seitens der oppositionellen Grünen: Es sei nicht vorstellbar, dass sich Raketenkrach und Treibstoffwolken mit dem Klima- und Umweltschutz vereinbaren lassen. Niedersachsens Landesregierung möge den Bremer Plänen eine klare Absage erteilen.

Entscheidend in punkto Weltraumbahnhof, besonders wohl mit Blick auf die 30 Millionen Euro »Startgeld«, dürfte das Wort des Bundeswirtschaftsministers sein. Gespräche mit Peter Altmaier (CDU) habe es in der Sache bereits gegeben, ist zu hören. Die Antworten aus seinem Haus zu Anfragen, die Abgeordnete des Bundestages gestellt hatten, muten allerdings eher zurückhaltend an. Noch seien zahlreiche Fragen ungeklärt, erfuhren die Grünen von der Regierung. Insbesondere seien mit Blick auf Starts in der Nordsee die Genehmigungsfähigkeit wie auch mögliche Konflikte, etwa mit dem Naturschutz, umfassend zu prüfen.

Der FDP schrieb das Altmaier-Ministerium aus Berlin: »Deutsche Unternehmen bzw. Industrie und Forschungsinstitutionen und -organisationen sind nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung nicht grundsätzlich auf einen Startplatz für Microlauncher in Deutschland angewiesen.« Angetan vom Weltraumbahnhof im Meer, gar enthusiasmiert ob jener Idee klingt das nicht.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.