Was ist der Brexit-Deal wirklich wert?

EU-Mitgliedstaaten starten mit der Prüfung des Handelsabkommens / Unterhändler Barnier informiert über 1246 Seiten Vertragswerk

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Brüssel. Eine Woche vor dem Ende der Übergangsfrist haben sich die EU und Großbritannien auf die Grundlagen ihrer künftigen Beziehungen nach dem Brexit geeinigt. Die Verhandlungsteams schlossen am Donnerstag nach monatelangem Ringen ihre Gespräche über ein gemeinsames Handelsabkommen ab. Ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Großbritannien zum Jahreswechsel ist damit wohl verhindert. Allerdings steht noch die Zustimmung aller 27 EU-Regierungen und des britischen Parlaments aus.

Die Vereinbarung sieht nach dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt zum Jahresende weiter einen Handel ohne Zölle und ohne mengenmäßige Beschränkungen vor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die Vereinbarung als »fair« und »ausgewogen«. Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von einem »guten Abkommen«. Die Unterhändler einigten sich auch beim zentralen Streitthema Fischfang. Das Abkommen sieht eine Übergangszeit von fünfeinhalb Jahren für die Kürzung der Fangquoten für EU-Fischer vor. Laut EU-Vertretern wurde mit Großbritannien in dieser Zeit eine Verringerung der Fangmengen um 25 Prozent vereinbart. Ab Juni 2026 solle dann jährlich erneut über die Fangquoten verhandelt werden.

Von der Leyen sagte, das Abkommen könne »eine solide Basis« für die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich sein. Es garantiere faire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen auf beiden Seiten und sehe auch Zusammenarbeit in Bereichen wie Klimapolitik, Energie oder Verkehr vor. Johnson versicherte, sein Land werde Freund, Verbündeter und »wichtigster Markt« der EU-Staaten bleiben. Großbritannien bleibe ein »vertrauenswürdiger Partner«, sagte auch von der Leyen. Sie forderte gleichzeitig die EU-Bürger auf, viereinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum in die Zukunft zu schauen. »Es ist Zeit, den Brexit hinter uns zu lassen«, sagte sie.

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten, bis zum Jahresende bleibt das Land aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Nach der Einigung auf Verhandlungsebene müssen auf EU-Seite auch die Regierungen aller 27 EU-Mitgliedstaaten dem Ergebnis zustimmen.

Der deutsche EU-Vorsitz setzte für Freitag ein Treffen der EU-Botschafter in Brüssel an, das diesen Prozess einleitet. Dabei soll EU-Unterhändler Michel Barnier über Details des komplexen Abkommens informieren. Der Zustimmungsprozess in den Mitgliedstaaten dürfte mehrere Tage in Anspruch nehmen. Das Briefing durch den Franzosen habe begonnen, schrieb ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am Freitag auf Twitter. Die EU-Mitgliedstaaten würden die 1246 Seiten des Abkommens nun prüfen und »diese gewaltige Aufgabe in den kommenden Tagen fortsetzen«.

In Großbritannien muss auch das Parlament die Einigung absegnen. Dafür sollen die Abgeordneten bereits am 30. Dezember zusammenkommen. Die oppositionelle Labour-Partei signalisierte noch am Donnerstag ihre Zustimmung.

Das EU-Parlament dagegen will nach Angaben seines Präsidenten David Sassoli mit einer Entscheidung indes bis Anfang nächsten Jahres warten. Durch die »Dauer der Verhandlungen« und die »kurz vor knapp« getroffene Einigung sei eine genaue Prüfung des Vertrags durch die Abgeordneten bis Jahresende nicht möglich, erklärte Sassoli. Die EU-Kommission will deshalb vorschlagen, das Abkommen bis Ende Februar zunächst vorläufig anzuwenden. Es könnte dann Anfang 2021 im Nachgang vom EU-Parlament ratifiziert werden. Auch die Bundesregierung will unbedingt ein vorläufiges Inkrafttreten erreichen. »Wir wollen als Ratspräsidentschaft alles tun, damit das Abkommen rechtzeitig zum 1.1.2021 vorläufig in Kraft treten kann«, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Der Vertrag soll die Beziehungen beider Seiten von Januar 2021 an neu aufstellen. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit wie möglich zu begrenzen. Großbritannien war bereits Ende Januar aus der EU ausgetreten, ist während einer Brexit-Übergangsphase bis Jahresende aber noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Ohne Abkommen wären Zölle und aufwendigere Kontrollen notwendig geworden. Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten hatten für diesen Fall vor Verwerfungen und dem Verlust Zehntausender Jobs gewarnt.

Vor allem die britische Wirtschaft wäre nach Einschätzung von Ökonomen schwer von einem sogenannten No-Deal-Brexit getroffen worden. Aber auch mit einem Abkommen droht mancher Branche ein deutliches Minus. »Durch den Brexit-Deal kann man den Absturz abbremsen, aber nach einer kurzen Erholung nach Corona wird England mit einem weiteren schleichenden Abbau seiner Autoindustrie rechnen müssen«, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.

Der Abschied Großbritanniens hat aber auch gravierende Auswirkungen auf anderen Lebensbereiche. So benötigen EU-Bürger von Oktober 2021 an einen Pass zur Einreise nach Großbritannien. Außerdem zieht sich die Regierung in London aus dem EU-Studentenaustauschprogramm Erasmus zurück. Agenturen/nd

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