- Kultur
- bell hooks
Allein machen sie dich ein
Endlich auf Deutsch: In »Die Bedeutung der Klasse« beschwört bell hooks die Solidarität unter den Armen - doch das ersetzt kein politisches Programm gegen die Klassengesellschaft
Klassismus!‹ heißt Angriff» lautet der Titel eines Text von Andreas Kemper. Der Begriff «Klassismus», der Diskriminierung aufgrund von Klassenzugehörigkeit bezeichnet, sei nicht nur als Analysekategorie zu verstehen, betont der Soziologe. Die Bezeichnung Klassismus ist aus konkreten politischen Bewegungen erwachsen und deshalb zufolge immer mit Ausrufezeichen zu denken.
In den 70er Jahren tauchte die Wortneuschöpfung in den Schriften des radikalfeministischen Kollektivs The Furies auf. Diese beschrieben Klassismus im Zusammenwirken mit Rassismus und Sexismus als ein Feld der Unterdrückung, gegen die sich die Frauenbewegung auch selbstreflexiv wenden müsse. Die schwarze Feministin bell hooks greift in ihrem 2000 erschienenen Buch «Where We Stand: Class Matters» Klasse ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen wieder auf. Es dauerte 20 Jahre, bis das stark rezipierte Buch ins Deutsche übersetzt wurde. Im Sommer erschien ihre autobiografisch angereicherte Analyse der US-amerikanischen Gesellschaft im Unrast-Verlag unter dem Titel «Die Bedeutung von Klasse».
Hooks stellt fest, dass «Klasse» im Gegensatz zu «Gender» und «Race» für sie schwerer zu fassen sei. Die Perspektiven Frau-Sein und Schwarz-Sein hat sie in ihren vorangegangenen autobiografischen Arbeiten feministisch und pädagogisch bereits ausführlich beschrieben. Weder in ihrer Arbeiter*innenfamilie noch in den zeitgenössischen Diskursen wurde die unsichtbare Kategorie thematisiert. In ihrem Elternhaus wurde nur über «Race» als Grund für Diskriminierung gesprochen. Im Kampf gegen das «weiße transnationalistische kapitalistische Patriarchat» sei Klassenbewusstsein jedoch unerlässlich. Die Autorin zeichnet an ihren eigenen Erfahrungen und einem geschichtlichen Überblick nach, wie mit der Verinnerlichung des American Dream die Solidarität in den Gemeinschaften erodierte.
Besonders in der Beschreibung ihrer Erinnerungen ist hooks’ Sprache sehr zugänglich und präzise. Eine Verschiebung in der (Selbst-)Wahrnehmung armer Menschen, die sie in ihrer Kulturkritik besonders den Massenmedien zuschreibt, lässt sich ebenso im generationalen Umbruch in ihrer Familie erkennen. Aufstiegsfantasien machten sich in den Köpfen armer Menschen breit und vereinnahmten ihre Gedanken. Ihre Großeltern mütterlicherseits lebten frugal, ohne Sozialversicherungsnummer und bezahlte Arbeit. Gemüse bauten sie selbst an, alles wurde verwertet und selten kauften sie neue Dinge. Hooks’ Mutter hingegen, froh diesem altmodischen Leben entkommen zu sein, versuchte in dem von der Autorität des Vaters dominierten Haushalt eine gute Ehefrau zu spielen und liebte die Welt der billigen Waren.
Die Literaturwissenschaftlerin bell hooks, mit bürgerlichem Namen Gloria Jean Watkins, das Pseudonym zitiert den Namen ihrer Großmutter, wendet sich im Laufe ihrer Bildungskarriere immer wieder bewusst von der lockenden Welt des Konsums ab. Während ihres Studiums in Stanford beobachtet sie, wie andere Arbeiter*innenkinder teure Kleidung stehlen, um sich der Elite anzupassen. Sie bleibt bei ihren Büchern.
Geprägt vom ländlichen Leben ihrer Großeltern leitet sie Strategien ab, um die Spaltung unterdrückter Menschen zu überwinden und praktische Solidarität zu schaffen. Die schwarze Elite, Arbeiter*innen und arme Menschen müssten sich von ihren rassistischen und klassistischen Vorurteilen und Aufstiegsfantasien lösen, schreibt hooks. Beeinflusst von progressiven Theologen wie David Hilfiker und Richard Forster ruft sie zu Verzicht und dem Teilen von Ressourcen auf. Mit ihren Ratschlägen appelliert sie an individuelle Verhaltensänderungen, die ein glückliches Leben im Kapitalismus ermöglichen sollen. «Die Armen mögen immer unter uns sein. Doch bedeutet das nicht, dass arme Menschen kein gutes Leben führen oder Freude und Erfüllung finden können», schreibt sie. Ihre Ausführungen sind weit entfernt von revolutionären Visionen und auch mangelt es ihr an Beispielen für massenbasierte Bewegungen. Dennoch behauptet sie, dass sie sich bereits abzeichnen würden.
Dass der Kapitalismus strukturell das Wohlergehen aller verhindert, taucht an wenigen Stellen ihrer Analyse auf. «Es war nicht allgemein bekannt, dass der Kapitalismus einen Überschuss an Arbeitskräften erforderte, dass es immer mehr Arbeiter*innen als verfügbare Jobs geben würde.» Was folgt bei ihr aus dieser Erkenntnis? Arme Menschen sollten sich besser gegenseitig unterstützen, statt auf Arbeitslose herabzuschauen. Eine überraschendes Zukunftsbild entwirft hooks zum Ende dann doch. Sie ruft progressive Reiche dazu auf, Land zu kaufen, um darauf demokratische und am Wohlergehen aller orientierte Gemeinden zu gründen. Dass die Grundbedingung für das Entstehen dieser utopischen Inseln eine höchst undemokratische ist, reflektiert die Autorin nicht.
Hooks’ Ausführungen über ihr eigenes Leben sind sehr anschlussfähig und machen Spaltung durch Diskriminierung nachvollziehbar. Ihr Verzicht auf eine akademische Sprache öffnet diese Überlegungen für ein breiteres Publikum. Dabei geht in der Analyse der Gesellschaft Komplexität verloren. Kulturpessimistisch reduziert sie Massenmedien auf Abwertung von Armut und die Glorifizierung ausgestellten Reichtums. Diese Einschätzung mag größtenteils stimmen, doch negiert sie so auch alle Ambivalenzen und Potenziale, die sich in der Fiktion auftun können. Die Einführung des Begriffs Klassismus in der Frauenbewegung hat die Möglichkeit geschaffen, das Verhalten weißer Frauen aus der Mittelklasse zu kritisieren, die mit dem erkämpften Eintritt ins Berufsleben ihre Reproduktionsarbeit häufig an schwarze Arbeiter*innen delegierten.
Wie Bündnisse und gemeinsam verfolgte Interessen durch Unterdrückung und Diskriminierung verhindert werden, lässt sich mit einer intersektionalen Analyse, in der auch Klassismus eine wichtige Achse ist, fassen. Die Schlüsse und Handlungsmöglichkeiten, die hooks daraus ableitet, verharren jedoch in Forderungen nach individuellem Engagement. Sicher ist es wichtig zu teilen, aber als soziale Strategie Einzelner ist das unzureichend.
bell hooks: Die Bedeutung von Klasse. Warum die Verhältnisse nicht auf Rassismus und Sexismus zu reduzieren sind. Aus dem amerik. Engl. v. Jessica Yawa Agoku. Unrast-Verlag, 180 S., br., 14 €
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.