»Repression kennt viele Wege«

Kim König von der Roten Hilfe Hamburg zum aktuellen Stand der Rondenbarg-Prozesse und der Strategie hinter der Verfahrensführung

  • Gaston Kirsche.
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 11. Januar findet voraussichtlich der nächste Verhandlungstag im Rondenbarg-Kompex in Hamburg statt. Wie ist der Stand bei den Anklagen?

Soweit es uns bekannt ist, sind über 80 Personen angeklagt. Sie sollen gruppenweise abgeurteilt werden. Aktuell stehen fünf junge Genoss*innen aus der ersten Prozessgruppe vor Gericht, die zum Zeitpunkt der G20-Proteste unter 18 waren. Dass gezielt die Jüngsten herausgepickt wurden, hat nichts damit zu tun, dass das Jugendstrafrecht vorsieht, Heranwachsende möglichst bald nach einem angeblichen Vergehen zu bestrafen und »erzieherisch« auf sie einzuwirken. Immerhin ist der Gipfel dreieinhalb Jahre her.

Kim König

Die Aktivistin engagiert sich bei der Roten Hilfe Hamburg. Die Solidaritätsorganisation unterstützt die über 80 Angeklagten bei den sogenannten Rondenbarg-Prozessen. Für Januar sind noch drei Verhandlungstermine angesetzt. Das umfangreiche Pilotverfahren findet demnach am 11. Januar, dann am 18. Januar sowie am 29. Januar unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mit Kim König sprach für »nd«.

Warum dann der Ausschluss der Öffentlichkeit gegen den Willen der Angeklagten?

Entscheidend ist, dass das Jugendstrafrecht vorsieht, Presse und Öffentlichkeit auszuschließen - grundsätzlich zum Schutz heranwachsender Angeklagter. In diesem Prozess geht es aber darum, dass die Staatsanwaltschaft unbedingt eine Verurteilung braucht. Diese würde endlich das offizielle G20-Narrativ über brutale Randalierer*innen, die nichtsahnende Polizist*innen überfallen haben, unterstützen. In Wirklichkeit war es allerdings genau umgekehrt und so lässt sich ein solch öffentlichkeitswirksames Urteil am ehesten erwirken, wenn keine kritische Presse und keine nervige, solidarische Öffentlichkeit im Saal sind.

Dann geht es um eine Art Pilotprozess?

Absolut. Wenn hier, hinter verschlossenen Türen, Videos, Aussagen und andere angebliche Beweise in aller Ausführlichkeit vorgebracht und gewertet werden, wenn also am Ende die Geschichte der Staatsanwaltschaft steht - dann können alle folgenden Rondenbarg-Prozesse darauf aufbauen und so wesentlich schneller und einfacher durchgezogen werden. Denn dann muss nicht mehr geklärt werden, was am Rondenbarg passiert ist - das wurde ja schon unter Ausschluss der Öffentlichkeit geklärt. In den Folgeprozessen geht es dann aus Sicht der Anklage nur noch darum, ob die anderen Angeklagten dabei waren, ob sie vielleicht Reue zeigen, sich von der Demo und ihren Genoss*innen distanzieren. Deshalb ist das Ergebnis dieses Pilotprozesses nicht nur für die fünf Jugendlichen existenziell, sondern auch für die knapp 80 anderen Angeklagten.

Warum finden die Prozesse nach Jugendstrafrecht nicht wohnortnah statt?

Weil Straftaten im Normalfall an dem Ort verhandelt werden, an dem sie angeblich begangen und dann angeklagt wurden. Und das ist nun mal der Gipfelort Hamburg. Nach dem Jugendstrafrecht hätte ausnahmsweise auch an den Wohnorten der Angeklagten verhandelt werden können. Das wurde aber abgelehnt. Das heißt jetzt für alle Angeklagten, dass sie ständig zu den Prozessterminen nach Hamburg pendeln müssen. Dass man unter diesen Umständen und dem psychischen Druck keinen Schulabschluss, keine Ausbildung oder Job machen kann, liegt auf der Hand. Insofern verlieren die Jugendlichen selbst dann ein, zwei Jahre ihres Lebens, wenn sie am Ende freigesprochen würden. Repression kennt viele Wege.

Was ist Ihre Hauptkritik am Prozess?

Dass die Polizei am Rondenbarg ausnehmend brutal eine Versammlung angegriffen, Grundrechte gezielt missachtet und Dutzende Menschen verletzt hat, nicht wenige schwer und teils mit bleibenden Schäden. Und dass hinterher nicht diese Gewalttäter*innen angeklagt werden, sondern die Überfallenen - geschenkt, das ist halt der Rechtsstaat BRD. Was an den Rondenbarg-Prozessen neu und entscheidend ist: Die Staatsanwaltschaft hält sich nicht damit auf, den Angeklagten individuelle Taten nachzuweisen. Ihr Konstrukt ist ganz einfach: Da ist was passiert und alle, die da irgendwie dabei oder in der Nähe waren, werden für alles bestraft.

Dabei beruft sie sich auf das so genannte Hooligan-Urteil des Bundesgerichtshofs. Der hatte 2017 nach einer Hool-Auseinandersetzung geurteilt, dass auch Leute, die nur mitgelaufen sind, durch das ostentative Mitmarschieren eine psychische Beihilfe zu Straftaten geleistet hätten. Aber: Der BGH hat schon damals explizit erklärt, dass dieses Urteil nicht auf politische Proteste übertragen werden kann. Sonst würde das Grundrecht der Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt.

Dann wären viele Anklagen wegen der G20-Proteste doch hinfällig?

Der Staatsanwaltschaft in Hamburg ist diese Entscheidung des höchsten Strafgerichts aber egal. Sie fordert vom Landgericht, das Hooligan-Urteil auf den Rondenbarg-Komplex anzuwenden. Sollte sie damit durchkommen, hieße das: Wer auch nur an einer Demo teilnimmt, an deren anderen Ende irgendetwas passiert, ist dafür auch verantwortlich. An einer grundgesetzlich geschützten Versammlung teilzunehmen, würde so zu einem echten Risiko.

Nimmt die Aufmerksamkeit für Prozesse wegen der G20-Proteste ab?

Es finden ja laufend G20-Prozesse statt. Aber weil der Gipfel schon so lange her ist, es viele Verfahren gibt und vieles unter dem Radar läuft, hat sich nach unserer Wahrnehmung schon eine gewisse G20-Müdigkeit breitgemacht. Deshalb sind wir froh, dass zumindest bei großen Verfahren wie dem aktuellen zumindest Teile der Linken noch oder wieder interessiert werden können. Es ist aber jedes Mal ein ordentliches Stück Arbeit, die Prozesse angemessen zu begleiten.

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