- Wirtschaft und Umwelt
- Freihandelsabkommen
Emanzipation für Afrikas Kapital
Freihandelsabkommen soll Handel zwischen den Ländern des Kontinents ab Januar ankurbeln
Wenn am 1. Januar das African Continental Free Trade Agreement, kurz AfCFTA, in Kraft tritt, wird der afrikanische Kontinent nach der Anzahl der Teilnehmerstaaten die größte Freihandelszone der Welt beheimaten. 54 Staaten, alle afrikanischen Länder mit Ausnahme von Eritrea, sind dem Abkommen bisher beigetreten. 34 hatten es bis zum Gipfel der Afrikanischen Union zu Beginn dieses Monats ratifiziert. Glaubt man den Projektionen der Weltbank, wird AfCFTA den Handel innerhalb Afrikas derart ankurbeln, dass das Gesamteinkommen auf dem Kontinent bis 2035 um 450 Milliarden US-Dollar steigt. 30 Millionen Menschen sollen so aus extremer Armut gehoben werden, die Einkommen von 68 Millionen weiteren, die derzeit unter 5,50 US-Dollar verdienen, würden demnach ebenfalls steigen.
Hintergrund des weit verbreiteten Optimismus ist, dass afrikanische Länder untereinander derzeit nur in äußerst geringem Maße Handel treiben. Durchschnittlich lediglich 16 Prozent der Exporte gingen in andere Länder der selben Region, argumentierte Andrew Mold, geschäftsführender Direktor des Ostafrika-Büros der OECD im November 2019. In der Europäischen Union war der Anteil regionaler Exporte seinerzeit mit 64 Prozent glatt vier mal so hoch.
Mold präsentierte zudem einen Überblick über die Zusammensetzung der inner- und außerafrikanischen Exporte. Im Handel zwischen afrikanischen Staaten war demnach der Anteil an Industriegütern mehr als doppelt so hoch wie unter den restlichen Exporten. Der Anteil an Rohstoffen war derweil unter den Exporten nach Übersee dreimal höher als innerhalb des Kontinents. Das offensichtliche Fazit: Will Afrika nicht nur Erzlieferant bleiben, sondern Produkte auch herstellen, muss es ökonomisch zusammenwachsen.
Entsprechend versuchen die afrikanischen Staatenlenker momentan nach Kräften, das AfCFTA als emanzipatorisches Projekt darzustellen. Die Freihandelszone soll die Industrialisierung des Kontinents vorantreiben und zugleich aufgrund des nun deutlich größeren einheitlichen Marktes Investoren aus anderen Weltregionen anziehen. In der Folge würden dann Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Nennenswerten Widerstand, wie er Freihandelszonen in anderen Teilen des Globus entgegenschlug, gab es gegen AfCFTA bisher kaum.
Die raren Stimmen des Dissens legen aber doch die Schwächen des Projekts offen. So sprach der nigerianische Gewerkschaftsbund NLC bereits 2018 von einer »extrem gefährlichen und radioaktiv neoliberalen Gesetzesinitiative«. Befürchtet wird ein Unterbietungswettkampf bei Löhnen, Umweltstandards und Arbeitsrechten. Die südafrikanische NGO Alternative Information & Development Centre wies in einer Analyse im vergangenen Jahr insbesondere auf den drohenden Verlust an souveränem Handlungsspielraum für die einzelnen Staaten hin, die durch den Wegfall von Zöllen eines wesentlichen wirtschaftspolitischen Gestaltungsinstruments beraubt würden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gros der Länder infolge der Schuldenkrise der vergangenen Jahrzehnte ohnehin bereits an Strukturprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds gebunden sind.
Die Ausrichtung des Kontinents auf freien, unregulierten Handel wird mit dem AfCFTA weiter vorangetrieben. Verwundern darf das nicht, letztlich handelt es sich bei dem Abkommen um eine Initiative des afrikanischen Kapitals. Entsprechend stockten die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Abkommens auch lediglich, wenn es um die Ansprüche der großen Volkswirtschaften ging.
Vor allem Nigeria, das als Ölförderland das höchste Bruttoinlandsprodukt aller afrikanischen Länder aufweist, zögerte seinen Beitritt lange hinaus. Auch Südafrika, nach wie vor die am stärksten industrialisierte Nation auf dem Kontinent, gehörte nicht zu den Erstunterzeichnern. Ausdruck einer generellen Ablehnung war dies jedoch nicht. Der nigerianische Milliardär Aliko Dangote, laut Forbes reichster Mann des Kontinents, gehörte ebenso zu den größten Förderern der Freihandelszone wie Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, vor Amtsantritt durch Unternehmensbeteiligungen vom Bergbaugewerkschafter und gut vernetztem Politiker zum Rand-Milliardär aufgestiegen.
Die Schwierigkeiten bei der Einführung sind zudem auf die widersprüchlichen Interessen einzelner Industrien in den Staaten zurückzuführen, deren Akteure freilich allesamt die für sich selbst günstigsten Rahmenbedingungen erreichen wollen. Mögliche Bedenken von Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen konnten das Abkommen ohnehin kaum aufhalten - sie waren von den Verhandlungen und Beratungen ausgeschlossen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!