- Berlin
- Betreuung von Senioren
Unterwegs für die Nachbarn
Rentnerin Angela Müller übernimmt Behördengänge für Senioren im betreutem Wohnen
Wenn es überhaupt so etwas wie gute Zeiten für Behördengänge gibt, dann gehört das erste Jahr der Corona-Pandemie nicht dazu. Bei dem ein oder anderen dürfte der Ausweis mittlerweile längst abgelaufen sein. Nicht nur wegen den wenigen verfügbaren Terminen in den Ämtern, auch weil jeder Weg bedeuten könnte, dass man sich mit dem Virus infiziert. Vorsichtig müssen insbesondere die Risikogruppen sein. Je älter, desto höher die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe. Zumindest die Bewohner des betreuten Wohnens am Landsberger Tor in Marzahn haben es gut, wenn es um vermeidbare Termine im Bürgeramt geht: Für sie ist Angela Müller unterwegs.
Seit über 20 Jahren übernimmt sie ehrenamtlich die Behördengänge für die Bewohner der Senioreneinrichtung in ihrer Nachbarschaft. »Das kommt eben bei Älteren vor, dass sie einen Termin bekommen und dann geht es ihnen an diesem Tag nicht gut«, erklärt die 76-Jährige, der man ihr eigenes Alter nicht anmerkt. Auch jene mit Rollator oder Rollstuhl, deren Mobilität sowieso eingeschränkt ist, können sich auf sie verlassen. Vor allem die Ummeldung der Wohnadresse oder die Befreiung von der Ausweispflicht machen Müllers häufigste Wege aus. Anträge hinbringen und dann alles wieder abholen. Dass sie das übernimmt, freut nicht nur die Senioren. »Auch die Angehörigen, die mitunter in anderen Bundesländern wohnen, sind mir sehr dankbar.«
Mit Antragsformularen kennt sie sich von Berufswegen aus: Müller hat selbst in der Berliner Verwaltung gearbeitet. Als sie 1998 neben die Senioreneinrichtung zog, kam die Idee auf, dass sie die Anträge der Bewohner gleich mit auf Arbeit nimmt. Im Ruhestand hat sie sich dann weiter darum gekümmert, dass die Anliegen der Senioren im Bürgeramt ankommen. Um selbst etwas zu tun zu haben und weil sie so ihre ehemaligen Kollegen sieht, sagt Müller ganz bescheiden. Für die Bewohner der Senioreneinrichtung ist sie aber nicht nur die Botin fürs Bürgeramt. Man steht miteinander in Kontakt und für die Neuankömmlingen gibt es immer auch gleich ein paar Eingewöhnungstipps. Wegen möglicher Diebstähle nicht so viel Geld mitnehmen beim Besuch des örtlichen Supermarkts, ist zum Beispiel einer ihrer Ratschläge.
Für sie ist das alles Ehrenamt. Die Behördengänge von anderen zu übernehmen, ist aber auch eine Geschäftsidee von Start-ups. Bereits 2016 gab es einen Dienstleister, der sich gegen Bezahlung unter anderem um die Anmeldung der Wohnung kümmerte. Dass das Unternehmen bereits nach zwei Jahren pleite ging, begründete der damalige Insolvenzverwalter mit den zu hohen laufenden Personalkosten . Einen anderen Weg geht seit kurzem eine Berliner Neugründung. Unter »wir-erledigen-deine-termine.com« können zwar auch die eigenen Behördengänge an Dienstleister abgegeben werden. Der Gründer, Franz Berlich, erklärte aber dem »Tagesspiegel«, dass er dabei ohne Angestellte auskommt. Die eingegangen Aufträge werden über eine Vermittlungsfirma weitergereicht - meist an Studenten. Vorangetrieben hätte seine Idee die Corona-Pandemie, erklärte Berlich.
Auch auf die Behördengänge von Angela Müller wirkt sich die Pandemie aus. In das Pflegeheim darf die hilfsbereite Rentnerin aus Hygieneschutzgründen gerade nicht mehr. Nur noch für die Senioren im betreuten Wohnen bringt sie Anträge zum Bürgeramt. Zweimal nur war sie deshalb im Dezember unterwegs. In anderen Monaten macht sie sich normalerweise doppelt so oft auf den Weg. Auch der persönliche Kontakt fehlt ihr. »Ich muss mich aber selbst schützen«, sagt Müller.
Viel Anerkennung in der aktuellen Situation hat sie für die Pfleger übrig. »Die machen eine gute Arbeit.« Anerkennung für ihre eigene Tätigkeit bekommt sie selbst zwar auch in Form von Einladungen zu Veranstaltungen oder zur Kaffeerunde, wie sie berichtet. Einen Wunsch hätte sie dann aber doch. »Meine Monatskarte bezahle ich selbst«, sagt Müller. Die brauche sie für die Fahrten zwischen Bürgeramt und Senioreneinrichtung. Gern würde sie sich diese erstatten lassen. Denn auch zukünftig möchte sie sich weiter um die Anträge der Senioren kümmern. »Wenn ich kann, mache ich das noch bis ich 80 bin.« Wer der aufgeweckten Rentnerin so zuhört, hat keinen Zweifel daran.
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