Mit Vollgas aus dem Tunnel

Als kleiner Junge stand Karl Geiger mit einer Fahne an der Schanze von Oberstdorf. Nun gewinnt er dort selbst ein Tournee-Springen

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Tag nach seinem grandiosen Heimsieg ging es für Karl Geiger zunächst zum zweiten obligatorischen Coronatest bei dieser Vierschanzentournee. Die deutschen Skispringer machten auf dem Weg zum Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen dafür einen kurzen Stopp in Kempten. Wie Routinier Severin Freund eingestand, durchaus mit einer Portion Bauchgrummeln: »Da ist immer Nervosität dabei. Man kann alles machen und trotzdem kann es einen erwischen.«

Erfüllter Traum vom Heimsieg

Schließlich ist es auch dem Helden dieser Wochen so ergangen. Karl Geiger war nur vier Tage nach seinem sensationellen Titelgewinn bei der Skiflug-WM in Planica und zwei Tage nach der Geburt seiner ersten Tochter Luisa positiv getestet worden. Erst am Tag vor der Qualifikation für das Tournee-Auftaktspringen durfte er nach einem negativen Test die Quarantäne verlassen. Doch dann machte mit dem Triumph auf seiner Heimschanze am Dienstagabend wieder einmal schier Unmögliches wahr. »Als kleiner Junge stand ich unten an der Schanze und bewunderte die Springer während der Tournee. Bei der WM 2005 durfte ich als Fahnenkind dabei sein. Und nun steh ich hier und gewinne in diesem Stadion. Zuhause!«, schrieb Geiger kurz danach bei Facebook. »Es ist ein unbeschreibliches Gefühl! Ein Heimsieg, den ich mir immer erträumt habe.«

Die Favoritenrolle, so hat der 27-Jährige nach seinem Auftakttriumph gesagt, nimmt er gern mit zu den restlichen drei Stationen in Garmisch-Partenkirchen (1. Januar), Innsbruck (3. Januar) und Bischofshofen (6. Januar). Schließlich hat Geiger schon bewiesen, dass er auf allen Schanzen blendend zurechtkommt. In Garmisch-Partenkirchen und Bischofshofen flog er bei der Tournee im vergangenen Winter jeweils auf Platz zwei. Und auf der legendären Bergiselschanze von Innsbruck gewann er im Jahr 2019 bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften Teamgold und Einzelsilber.

Der Beste bei Wind und Schneefall

Der Analytiker Geiger hat sich über die Jahre ein für ihn perfektes Konzept zurechtgelegt, das auf »Entschlossenheit und Willensstärke« beruht. Wenn andere im Wettkampf schwächeln, kann er sich oft noch einmal steigern. »Ich begebe mich mental in einen Tunnel. Und wenn es drauf ankommt drücke ich drauf und attackiere mit Vollgas.« So war es bei der Skiflug-WM und nun auch in Oberstdorf: trotz längerer Sprungpausen - zunächst wegen des Besuchs der hochschwangeren Ehefrau und dann wegen Corona - vor beiden Events. Bei seinem Tournee-Auftaktsieg waren die Bedingungen in beiden Durchgängen zunächst mit Rückenwind und dann mit Schneefall dazu noch extrem schwierig.

Karl Geiger aber bewältigt all das in den »aufregendsten Wochen meines Lebens«. Als Hauptkonkurrenten stuft Geiger den in Oberstdorf nur um 2,8 Zähler geschlagenen Polen Kamil Stoch ein. Aber auch sein bester Kumpel Markus Eisenbichler hat mit 16,8 Punkten Rückstand noch Chancen, in den Kampf um den goldenen Adler für den Gesamtsieger einzugreifen. »Wir sind mit unseren zwei Favoriten voll im Rennen. Jetzt fahren wir am Ruhetag bis auf ein kleines Krafttraining wieder herunter und bereiten uns dann auf Garmisch vor«, sagte Bundestrainer Stefan Horngacher: »Ich hoffe, Karl zieht weiter durch.« Die Chancen dafür stehen gut: Der Chefcoach hatte schon mitten in der Quarantänezeit seines Vorfliegers erklärt, dass er auf den Gesamtsieg von Karl Geiger wetten würde.

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