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Er geht, aber er verschwindet nicht
Das vergiftete Erbe von Donald Trumps Präsidentschaft - eine erste Bilanz
Die US-Wahl war ganz knapp. Zwar erhielt Joe Biden sieben Millionen Stimmen mehr als Donald Trump. Doch der zweite Blick zeigt, dass der Ausgang enger war. Ganze 42 918 Stimmen - bei über 155 Millionen abgegebenen sind das nur 0,03 Prozent - entschieden in drei Staaten über den Sieg: Biden holte in Wisconsin 20 682 mehr, in Georgia 11 779 und in Arizona 10 457, und damit 37 Wahlleute. Ohne sie hätte es ein Elektoren-Remis und die Notwendigkeit gegeben, den Präsidenten durchs Abgeordnetenhaus zu wählen. Dann hätte jeder Teilstaat nur eine Stimme gehabt. Dies hätte dazu geführt, dass Trump mehr (dünn besiedelte) Staaten gewonnen hätte - und Präsident geblieben wäre.
So aber tritt am 20. Januar der Demokrat Joe Biden das Amt an. Der scheidende Präsident hat wenig geleistet, was die Wiederwahl gerechtfertigt hätte. Sein Programm »Make America Great Again« ist gescheitert. Die Wirtschaftsleistung bricht seit der Corona-Krise ein wie zuletzt vor 90 Jahren. Zwar behauptete Trump, er habe fast eine dreiviertel Million Industriejobs zurückgeholt, aber Faktenprüfer sehen unterm Strich einen Verlust von 237 000. Die Steuerreform, eine Richtungsentscheidung, begünstigte Unternehmen und Reiche. Die Infrastrukturreform, das zweite ökonomische Großvorhaben, versandete, obwohl sie dringend erforderlich wäre, denkt man nur an eine Notiz in Bidens Autobiografie, wonach in den USA noch immer »ein nicht zu verantwortender Teil der Wasserleitungen aus Holz« bestehe.
Der (noch) amtierende US-Präsident Donald Trump kann machen, was er will. Er kann seine Gegner beschimpfen, die Amerikaner belügen, undurchsichtigen Geschäften nachgehen - viele Amerikaner lieben ihn trotzdem. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist er der »am meisten bewunderte Mann« in den USA. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup ermittelt jedes Jahr eine Rangliste und fragt US-Bürger: »Welchen Mann, von dem Sie gehört oder gelesen haben und der heute in irgendeinem Teil der Welt lebt, bewundern Sie am meisten?« In diesem Jahr befragte das Institut zwischen dem 1. und 17. Dezember - also nach der Präsidentschaftswahl - 1018 Menschen per Telefon. Trump schaffte es auf den ersten Rang mit 18 Prozent der Stimmen.
Im vergangenen Jahr hatte er noch mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama gleichauf gelegen. Diesmal landete Obama auf Platz zwei (15 Prozent), gefolgt vom künftigen US-Präsidenten Joe Biden (6 Prozent), dem renommierten US-Immunologen Anthony Fauci (3 Prozent) sowie Papst Franziskus (2 Prozent). Bei den Frauen schaffte es die ehemalige First Lady der USA, Michelle Obama, erneut auf den ersten Platz - mit 10 Prozent der Stimmen. Nach ihr folgt in diesem Jahr die künftige US-Vizepräsidentin Kamala Harris (6 Prozent).
Trump sonnt sich in seiner Beliebtheit und nutzt diese, um die Präsidentschaftswahl nachträglich doch noch zu gewinnen. Was wie ein schlechter Witz daherkommt, knapp drei Wochen vor Amtsübergabe an den Nachfolger Biden, nimmt Trump sehr ernst. Er hat seine Anwälte angewiesen, einen erneuten Versuch zu starten, das Ergebnis der Präsidentenwahl im US-Staat Wisconsin anzufechten. Trumps Wahlkampfteam habe einen Antrag beim Supreme Court in Washington eingereicht, um eine Entscheidung des Obersten Gerichts in Wisconsin zu kippen, hieß es am Dienstag in einer Mitteilung. Anfang Dezember hatten die Richter dort eine Klage abgelehnt; Trumps Anwälte wollten Briefwahl-Stimmzettel von der Auszählung ausnehmen. Trumps Anwalt Jim Troupis gibt sich siegesgewiss: Sollte die Klage verhandelt werden, werde dies den Ausgang in Wisconsin drehen. Dabei würde ein Sieg in Wisconsin nichts am Wahlausgang ändern. Joe Biden hat die Wahl insgesamt gewonnen. Nur Trump will dies immer noch nicht wahrhaben.
Trumps Aufkündigung von Handelsverträgen mit China brachte kaum Fortschritte. Corona und Missmanagement trugen dazu bei, dass ein Großteil der in der letzten Dekade in der verarbeitenden Industrie gewonnenen Jobs wieder verschwand. Die Arbeitslosenzahl steigt, die Staatsschulden explodieren. Der internationale Einfluss der USA schrumpft, was positive Seiten hat, die von ihr ausgeübte oder angemaßte Ordnungsfunktion auch, was nicht nur positiv ist. Amerikas Ansehen in der Welt ist auf einem Tiefstand. Viele Experten sehen Kernprobleme verschärft seit der Expansion des politischen Populismus durch Trump: Anzeichen eines gescheiterten Staates, Rassismus in neuer Giftigkeit, groteske Wohlstandskluft im reichsten Armenhaus der Welt.
Die Zerrissenheit der Gesellschaft wuchs, und Trump tat nichts zur Linderung. Bei Amtseinführung klagte er: »Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt von der Regierung profitiert«, um dann eine Vetternwirtschaft aufzuziehen, wie sie selbst Washington nicht kannte. Er machte sich den Staat zur Beute und griff zugleich lang gestaute Wut seiner Kernwähler auf, um sich als ihr Interessenvertreter zu inszenieren. Dies war neu. Trump knüpfte an eine Theorie des Politologen Lee Drutman an, der die Wählerschaft grob dreigeteilt sieht: eine Mehrheit von 40 Prozent »Populisten«, migrations- und globalisierungsfeindlich; 33 Prozent »Fortschrittliche«, offen für soziale Sicherheit und Migration; und 20 Prozent »Gemäßigte«, zufrieden mit dem Status quo. Trump wurde zum Vorkämpfer der Populisten. Und wenn unter ihnen auch viele sind, die das Vulgäre ihres Vorturners abstößt, nahmen sie es doch billigend dafür in Kauf, dass er im Kulturkampf all jene angriff, die sie für die Ursache ihrer Beschwernisse halten.
Neu dabei war auch, dass Trump, der erste US-Präsident ohne jede vorherige Funktion in Politik oder Militär, im Unterschied zu früheren Populisten wie Ross Perot (1992) nicht versuchte, eine eigene Organisation zu schaffen. Vielmehr machte er mit den Republikanern eine der beiden dominierenden Großparteien des Landes zum Instrument seines Ehrgeizes.
Das Ausschlachten von Enttäuschung, die chauvinistische Politik behaupteter Volksvertretung und das durchgängige Regieren mit Vollmachten, vorbei am Parlament und im Dauerclinch mit Gerichten, waren nach innen die Hauptsäulen des Trumpismus. Sie waren der Kern seiner Kampagne 2016 wie seiner vier Jahre Amtszeit, und sie prägten den Feldzug gegen das Wahlergebnis. Seine Außenpolitik war irrlichternd und sprunghaft. Er pfiff auf internationale Anstrengungen gegen die Folgen des Klimawandels, verließ das Pariser Klimaabkommen und ließ fossile Brennstoffe neu ausbeuten. Er zog den transatlantischen Beziehungen den Stecker, wie Altkanzler Schröder es nannte, verwechselte oft Freund und Feind. Er wollte Grönland kaufen und die Ukraine erpressen. Er drängte China zur Wahlhilfe und nannte sein Verhältnis zu Nordkoreas Diktator »Liebe auf den ersten Blick«. Das Bild, das die USA abgaben, glich unter »Nr. 45« häufig keiner Demokratie, sondern einer Bananenrepublik.
Nach dem Wahltag hat er einen Staatsstreich versucht und für sich einen Generalpardon gesucht. Er wollte das Resultat der Wahl kippen, nur weil er sie verloren hatte. Dem Putschisten gingen die meisten republikanischen Justizminister aus Bundesstaaten, der größte Teil der Republikaner im Abgeordnetenhaus und viele Wähler zur Hand. Sie alle machten sich Trumps Gift zu eigen, dass ihm der Sieg vom »Kommunistenfreund Biden« gestohlen wurde. Es offenbart den Plan, eine Nebenpräsidentschaft gegen Biden zu errichten. Wo, wie und in welcher Funktion auch immer, er will Stachel im Fleisch bleiben. Der Trumpismus wird nicht verschwinden. Der gerissene, so oft unterschätzte Politiker war, ist und bleibt auf Spaltung gepolt: auf Hass gegenüber Medien und Kultur, Verwaltung und Wissenschaft; auf Verschwörungstheorien gegenüber China und Corona, Obama und Hillary; auf weiße Vorherrschaft und sein Herabblicken auf Menschen anderer Hautfarben und Glaubensrichtungen.
»Make America Great Again« zeigte einen rabiaten Isolationisten in einer wie nie zuvor miteinander verwobenen Welt. Einen Egoisten, dessen Politik sich auch in seinen AfD-reifen Ausfällen »All diese Dreckslochländer!« und »Lasst mich mit eurem Scheiß in Ruhe!« äußerte. Das Verhältnis zu den Verbündeten hat Trump solchen Belastungen ausgesetzt, dass es schwer zu reparieren sein wird. Die Konkurrenzsituation zu China hat er im Wechselbad von Schmutz und Schmeichelei für die USA verbessern wollen - mit dem Ergebnis, dass China stärker wurde, als dies auch ohne ihn geschehen wäre. Gegenüber Moskau, das sich eilig und heimlich für ihn einsetzte, bewegte sich in großen Fragen nichts, während Trumps devote Bewunderung für Putin bei Vermeidung selbst kleinster Kritik noch lange Grund für Recherchen bleiben wird.
Corona forderte nirgends mehr Menschenleben als in den USA und konnte auch deshalb zu dieser Geißel werden, weil der Präsident den Herausforderungen intellektuell nie gewachsen war. Sein Ich-Ich-Ich wirkte am Ende etwas stärker gegen als für ihn. Dennoch stimmt beides: Trump fiel über den Trumpismus, aber er bezog aus ihm auch seine Stärke. Man wüsste zu gern, welcher Demokrat ohne die Pandemie gegen diesen Präsidenten eine Chance gehabt hätte?
Das Amtsenthebungsverfahren Anfang 2020 war erst das dritte in der US-Geschichte. Doch die Anklagen wegen Machtmissbrauchs und Behinderung der Justiz im Falle Trumps waren monströser als bei den Vorgängern Andrew Johnson (1868) und Bill Clinton (1999). Noch nie stand ein Präsident vor Gericht, weil er das Amt seinen eigenen Interessen unterworfen hatte. Sein Freispruch war der Freibrief für einen Schuldigen und ein Armutszeugnis für die Trump-hörige Senatsmehrheit.
Auch eine vorläufige Bilanz kann nicht an der oft als Kompliment gemeinten Feststellung vorbeigehen, Trump habe wenigstens keinen neuen Krieg der USA begonnen. Das stimmt. Aber richtig ist: Mit seinem mafiösen und sexistischen, rassistischen und chauvinistischen Verhalten hat er, praktisch weltweit, die politische Alltagskultur so barbarisiert, dass man von einer ganz neuen Kriegsführung sprechen muss. Trump war nie ein Friedensengel, ein geistiger Brandstifter war er regelmäßig.
Was bleibt? Die entmannten Republikaner werden sich nicht schnell von ihm befreien können, vor allem, weil seine 74 Millionen Wähler nicht verschwinden. Das ändert nichts daran, dass in einer Wahl mit Rekordbeteiligung weder die Demokraten noch die Republikaner einen klaren Vorteil erringen konnten. Das wird Gehässigkeiten verfestigen, bürgerkriegsähnliche Konflikte nicht ausgeschlossen. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel zeigte sich im »Spiegel« überzeugt, dass die USA auch künftig »ein Land in Paralyse« bleiben. »Ich vermute zum Beispiel, dass selbst unter Joe Biden weder das Klimaabkommen noch das Atomabkommen mit Iran wirklich rechtssicher erneuert werden würde, weil er im Senat dafür keine Mehrheit bekäme.«
Was Donald Trump persönlich betrifft, könnte Politikberater Peter Rough vom Hudson Institute richtig liegen. Er traut ihm zu, absehbar »Hecht im Karpfenteich« zu bleiben. Dennoch werde es mit dem Amtsverlust schwieriger. Daher erwartet Rough, dass die Republikaner »von einem übernommen werden, der es versteht, die Trump-Rebellion aufzugreifen und sie in eine produktivere Richtung zu wenden«. Die für ihn zuletzt noch gewachsene Wählerzahl aber zeigt, dass er kein Betriebsunfall war. Allzu viele befürworten seinen Ganovenstil oder wollen mehr davon. Das zeugt von den Wurzeln, die Trump geschlagen hat, und davon, wie einschneidend er die Demokratie geschwächt hat. Ein giftiges Erbe, für die USA, Europa und die Welt. Auch für Deutschland.
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