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Allein zu Karl und Rosa
Berliner Linke verschiebt stilles Gedenken, Liebknecht-Luxemburg-Bündnis entscheidet über Demonstration
Am frühen Montagmorgen hat es geschneit. Auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde sind die Grabsteine und Grünflächen weiß. An der Gedenkstätte der Sozialisten hantieren zwei Arbeiter mit Schneeschiebern und räumen den Weg am Rondell. Es taut und einem der Arbeiter läuft der Schneematsch in die Schuhe. »Ich habe schon nasse Strümpfe«, stöhnt er.
Traditionell immer am zweiten Sonntag im Januar werden an der Gedenkstätte die 1919 ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geehrt. Doch in diesem Jahr läuft es wegen der Corona-Pandemie anders als gewohnt. Die Berliner Linke hat das stille Gedenken verschoben. Es soll nun am 14. März stattfinden. Der geschäftsführende Landesvorstand habe sich am 30. Dezember »nach intensiver Abwägung zu diesem Schritt entschlossen«, heißt es. Ausschlaggebend sei die weiterhin sehr kritische Coronalage gewesen, bekräftigt Landesgeschäftsführer Sebastian Koch am Montag. »In der aktuellen Situation sind wir alle angehalten, unsere sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, um die weitere Verbreitung des Coronavirus zu vermeiden.« Und weiter: »Wir halten es daher aus gesundheitlicher und politischer Sicht nicht für verantwortlich, unser jährliches Gedenken in der bekannten Form mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen im Januar durchzuführen.« Der neue Termin 14. März liegt einige Tage nach dem 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg, die am 5. März 1871 in Zamość zur Welt kam.
Die Verschiebung des stillen Gedenkens heißt jetzt aber nicht zwingend, dass gar nichts stattfindet. Die alljährliche Liebknecht-Luxemburg-Demonstration ist nach Auskunft der Polizei bislang noch für den 10. Januar geplant. Treffpunkt soll um 10 Uhr am Frankfurter Tor sein. Von dort soll es zur Gedenkstätte der Sozialisten gehen. Die Versammlung sei mit bis zu 10 000 Teilnehmern angemeldet, sagt ein Polizeisprecher. Es bleibe aber abzuwarten, was die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die sich an diesem Dienstag wieder mit der Bundeskanzlerin treffen, zum weiteren Umgang mit der Coronakrise vereinbaren werden.
Abzuwarten bleibt indes nicht nur das. Denn das Bündnis »LL-Demo« wollte am Montagabend entscheiden, ob die Demonstration am 10. Januar durchgeführt oder ebenfalls verschoben wird. Das bestätigt »nd« von Bündnisseite Ellen Brombacher. Über die getroffene Entscheidung soll auf der Internetseite ll-demo.de informiert werden. Das »nd« wird nach Möglichkeit in der Mittwochausgabe über das Ergebnis der Beratung berichten. Bereits am 14. Dezember hatte Anmelder Klaus Meinel im Auftrag des Bündnisses mitgeteilt, man bereite seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Liebknecht-Luxemburg-Demonstrationen vor. »Nicht nur einmal hatten wir sehr schwierige Situationen zu bewältigen.« Doch die Lage vor dem 10. Januar 2021 sei unvergleichlich schwieriger. Busunternehmen in einigen Bundesländern nahmen schon im November keine Aufträge mehr an, sodass die bundesweite Mobilisierung spürbar erschwert wurde. »Wir werden die Demonstration nur durchführen können, wenn alle, die an ihr teilnehmen wollen, bereit sind, Hygienevorschriften einzuhalten, also Masken zu tragen und Abstand zu wahren«, hieß es am 14. Dezember. Sollten Menschen mitdemonstrieren, »die auch auf Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen zu finden sind, so ist es unser Recht, von ihnen zu erwarten, unsere Regeln einzuhalten und unsere Demonstration nicht inhaltlich zu instrumentalisieren«.
»Wir wollen für Frieden und gegen Krieg, Umweltzerstörung und Faschismus demonstrieren, für internationale Solidarität, gegen Rassismus und Antisemitismus«, betonte das Bündnis. »Und wir gehen für mehr soziale Gerechtigkeit auf die Straße, gerade jetzt, da der Kampf in voller Härte entbrennt, wer den Preis zahlt für die weltweite, durch die Pandemie extrem verschärfte Krise des Kapitalismus.«
Gesetzt den Fall, auch für die Demonstration wird ein neuer Termin festgelegt, heißt das immer noch nicht, dass die Gedenkstätte der Sozialisten am 10. Januar verwaist bleibt. Zwar sind Stände vor dem Gelände nicht erlaubt. Auch der nd-Verlag erhielt ein amtliches Schreiben, dass der beantragte Stand nicht genehmigt werde.
Der Friedhof Friedrichsfelde ist aber immer offen und hat mehrere Zugänge. Friedrichsfelde gehört zum Bezirk Lichtenberg – und Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) geht fest davon aus, dass so oder so am 10. Januar Menschen individuell die Gedenkstätte aufsuchen werden. Er weiß beispielsweise von Bürgern, die es gewohnt sind, am zweiten Sonntag im Januar zu den Grabstätten von Angehörigen zu gehen und bei dieser Gelegenheit auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die Ehre zu erweisen. Dafür rote Nelken zu kaufen, ist nicht ganz einfach, da die Blumenläden im Lockdown geschlossen sind. Es sind aber in einigen Supermärkten Blumen im Angebot, und sie lassen sich auch beim Versandhandel bestellen.
In all den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Gedenken an Karl und Rosa bisher nur ein einziges Mal nicht an dem geplanten Termin möglich gewesen. Das verhielt sich so: Olaf Jürgen S. hatte der PDS vorgehalten, diese habe ihm bei einem Problem mit seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain nicht geholfen. Er entzündete Ende 1999 ein Feuer in dieser Wohnung und tauchte unter. Anfang des Jahres 2000 verlangte er ultimativ die Absage der Ehrung. Andernfalls werde er mit einer Maschinenpistole in die Menge feuern und Handgranaten werfen, drohte er. Die Polizei verbot deswegen das Gedenken. Es kamen aber dennoch Menschen zur Gedenkstätte, wo sie vor verschlossenen Toren standen. Die Polizei hatte das Gelände abgeriegelt. Damals zog allerdings eine Spontandemonstration durch die Straßen der Gegend – und das stille Gedenken wurde eine Woche später nachgeholt. Die Polizei fasste Olaf Jürgen S., auf den eine Belohnung von 10 000 Mark ausgesetzt war, am 29. Dezember 2000. Besucher einer Diskothek hatten ihn erkannt.
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