Wie Bibi auf positive Berichterstattung baute

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begünstigte seine Gönner und erhielt dafür Juwelen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Als sie sich am Montagmorgen auf den Weg in die tägliche Redaktionskonferenz gemacht habe, im Gang den Kolleg*innen begegnete, habe sie »eine tiefe Verunsicherung, ein echtes Misstrauen von allen gegen alle« gespürt, sagt Dalia (Name geändert). Sie ist seit vielen Jahren Redakteurin bei einem großen israelischen Medienhaus, hat über Krisen und Kriege berichtet, immer wieder in diesem hochpolitisierten Land auch mit den Kolleg*innen über Politik gestritten: »Doch seit dem Wochenende ist einer der Grundpfeiler unserer Zusammenarbeit zerstört: Das Vertrauen, dass das, was wir am Ende veröffentlichen, nur unseres Geistes Kind ist«, sagt sie am Telefon, und bittet darum, ihren Namen nicht zu nennen: »Ich habe Angst um die Zukunft.«

Ähnliche Aussagen sind auch von vielen weiteren Kolleg*innen zu hören. Denn am Sonntag veröffentlichte die israelische Staatsanwaltschaft zusammen mit einer überarbeiteten Anklageschrift auch ein Schreiben an die Verteidigung. In der Anklageschrift wird nun Netanjahus Familie nicht mehr erwähnt. Dafür wird im Schreiben an die Verteidigung detailliert aufgelistet, wie Netanjahu seit seinem Amtsantritt entweder selbst oder über Dritte Einfluss auf die Berichterstattung des Online-Portals »Walla« genommen haben soll. »Walla«, das ist ein Nachrichten-Angebot des Telekommunikationsanbieters Bezek, das die Kundschaft standardmäßig zu sehen bekommt, wenn sie auf dem Handy den Browser aufruft oder die E-Mails abrufen will. Die Macht des Portals auf die politische Willensbildung der Bevölkerung ist also riesig.

Und die Staatsanwaltschaft hat nun 315 Fälle aufgelistet, in denen positive Berichte über Netanjahu oder seine Familie auf der Startseite nach oben rückten, länger dort zu sehen waren, als normalerweise üblich, oder in denen negative Berichte nach unten gerückt oder ganz entfernt wurden. Mehrfach seien auch Überschriften »entschärft« worden. Außerdem sei negative Berichterstattung über die Rival*innen des Premiers eingefordert worden sein. Netanjahu selbst soll in 150 dieser Fälle direkt Einfluss genommen haben. Im Gegenzug soll er Gesetze durchgedrückt haben, die für den Besitzer Schaul Elovitch mehrere hundert Millionen US-Dollar wert gewesen sein dürften. Netanjahu und Elovitch bestreiten die Vorwürfe vehement.

Doch es sind die nicht einzigen gegen den Regierungschef, der sich im März der vierten Wahl innerhalb von nur zwei Jahren stellen muss. Am 24. Mai 2020 begann vor dem Bezirksgericht Jerusalem ein Korruptionsprozess; der nächste mündliche Verhandlungstermin soll im Februar abgehalten werden. Die Vorwürfe sind umfangreich; zusammengefasst soll Netanjahu, der selbst ungerechnet mehrere Millionen Euro besitzen soll, gegen teure Geschenke ebenso wertvolle Gesetze, darunter vor allem Steuererleichterungen, durchgesetzt haben. Unter den Geschenken sollen unter anderem Zigarren und Champagner im Wert von 195 000 US-Dollar und Schmuck im Wert von 3100 US-Dollar gewesen sein - und auch eine positive Berichterstattung, nicht nur durch »Walla«.

Auch im Fall des Konkurrenzportals »ynet.co.il«, ein Angebot der größten Tageszeitung »Jedioth Achanoroth«, soll Netanjahu in drei Treffen mit dem Verleger Arnon Moses versucht haben, eine positive Berichterstattung zu erreichen. Im Gegenzug soll der Premier angeboten haben, die Verbreitung der chronisch Netanjahu-freundlichen Gratiszeitung »Israel HaJom« per Gesetz einzuschränken. Das Blatt gehört zum Imperium des Netanjahu- und Trump-Freunds Sheldon Adelson und machte den Verkaufszeitungen jahrelang das Leben sehr schwer. Adelson gehört nicht zu den Beschuldigten.

Das Verfahren gegen Netanjahu zieht sich dahin, wegen der Coronakrise, aber auch wegen der komplexen Anklage und der ständigen Neuwahlen innerhalb der vergangenen beiden Jahre. In den Redaktionen hat derweil die Suche nach den Täter*innen in den eigenen Reihen begonnen. Im Fall von »ynet.co.il« war die Sache schnell vorbei: Die Redaktion von Zeitung und Portal weigerte sich, den Anweisungen des Verlegers zu folgen; eines der Gespräche mit Netanjahu wurde mitgeschnitten und veröffentlicht. Doch auch bei anderen Medien stellen sich Fragen: In welche Redaktionen reichte der lange Arm Netanjahus noch? Und wer hat die Ansagen von oben befolgt?

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