»Auch Ahmet macht typisch deutsches Wetter«

Ferda Ataman über die Kampagne »Wetterberichtigung«, fehlende Repräsentation und die Zukunft der deutschen Medien

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie haben Patenschaften für die ersten Hoch- und Tiefdruckgebiete in diesem Jahr übernommen und ihnen Namen wie Ahmet, Dragica und Jussuf gegeben, um so die Vielfalt in der Bevölkerung sichtbar zu machen. Gibt es nicht wichtigere Bereiche als das Wetter?

Klar. Natürlich beschäftigt marginalisierte Menschen nicht primär, ob ihre Namen im Wetterbericht vorkommen. Aber das Thema, um das es uns geht, ist mangelnde Repräsentation und Sichtbarkeit. Beim Wetterbericht konnten wir uns einkaufen, sozusagen einen kleinen Hack machen. Wir können ja nicht einfach fünf Abteilungsleiterposten kaufen oder Patenschaften für 30 Prozent eines Ministeriums. Außerdem interessiert Wetter alle, also dachten wir, das ist eine gute Idee.

Ferda Ataman
Ferda Ataman ist Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen und im postmigrantischen Netzwerk neue deutsche organisationen. 2019 hat sie das Buch „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“ im S. Fischer Verlag veröffentlicht und unter dem Hashtag #vonhier eine Debatte über Zugehörigkeit in Deutschland ausgelöst.

Ihr Plan ist aufgegangen: Tief Ahmet hat tatsächlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber was haben Menschen mit Migrationshintergrund davon, dass ein Tief ihren Namen trägt?

Viele haben sich gefreut und unseren Hack gefeiert. Aber eigentlich bin ich nicht sehr glücklich mit dem Begriff Migrationshintergrund. Das meteorologische Institut hat zurecht angemerkt, dass es Namen mit Migrationshintergrund beim Wetter schon vorher gab. Aber das waren eher Françoise, Xhantippe oder Lasse. Migrationshintergrund ist eben nicht gleich Migrationshintergrund.

Und was würden Sie stattdessen sagen?

Korrekt müsste es eigentlich »Namen von rassistisch markierten Gruppen« heißen. Eine Journalistin meinte zu mir, Petra oder Anja seien doch auch Namen mit Migrationshintergrund. Das stimmt zwar, allerdings werden diese Namen nicht als migrantisch wahrgenommen und führen wohl kaum zu Diskriminierung. Unser Ziel ist es, dass Ahmet auch einen Migrationshintergrund bekommt, der gar nicht mehr wahrgenommen wird. Wir wollen Diversität als Normalfall zeigen und weg von Migration als Ausnahmezustand.

Und wie hilft das Wetter dabei? Kritiker*innen haben Ihnen vorgeworfen, nur Symbolpolitik zu betreiben, die an den Lebensrealitäten der Menschen wenig ändert.

Natürlich ist Wetter nur symbolisch, aber auch Symbolik kann empowern und wirken. Ich verstehe die Kritik, dass unsere Kampagne kein konsequentes Anti-Rassismus-Projekt ist. Aber das war auch nicht der Anspruch. Wir bieten einen Anlass, über Bewusstseinsmängel zu sprechen. People of Color und Schwarze Menschen werden in Deutschland immer noch nicht als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen. Viele Arbeitgeber fragen sich beim Namen Ahmet noch, ob der überhaupt richtig Deutsch kann. Im Jahr 2021 sollten wir aber weiter sein. Und da ist die Debatte ums Wetter einfach nur ein Trigger. Wir wollten zeigen, dass auch Ahmet typisch deutsches Wetter macht. Wer da jetzt harte Rassismuskritik anfügen will, soll das bitte tun.

Wie könnte die konkret aussehen?

Wir als Neue deutsche Medienmacher*innen fordern eine rassismuskritische Debatte und mehr Repräsentation in den Medien. Menschen müssen sich im Diskurs wiederfinden können, um realistische Perspektiven auf Teilhabe zu haben. Bundesweit haben heute 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund. In den westdeutschen Großstädten sind es über 50 Prozent, in Frankfurt am Main sogar 70 Prozent. Bei denen handelt es sich überwiegend nicht um Sören und Nathalie, sondern um Ahmet, Goran, Kofi und Thao. Im Fernsehen, in den Parteien, in den Behörden und Ämtern sind nicht-weiße Menschen aber stark unterrepräsentiert. In den Redaktionen liegt ihr Anteil bei null bis zehn Prozent.

Warum ist das so problematisch?

Das führt dazu, dass Migrant*innen und ihre Nachkommen oft unsichtbar bleiben und über ihre Themen meist nur klischeehaft berichtet wird. In den 80ern gab es Redaktionen, in denen nur Männer arbeiteten - aus heutiger Perspektive ist das undenkbar. Wir diskutieren nicht mehr darüber, ob Männer allein über alles berichten können und wozu es unbedingt Frauen im Journalismus braucht. Bei unserem Thema ist das anders, da finden viele, es brauche nicht unbedingt Journalist*innen of Color für guten Journalismus.

Gleichzeitig zeigen sie bis heute vor allem Frauen mit Kopftuch oder die Hintern von betenden Muslimen in der Moschee, wenn es um Deutschland als Einwanderungsland geht. Diese Darstellung von Migrant*innen geht aber total an der Realität vorbei: Erstens, weil nicht alle fünf Millionen Muslim*innen in Deutschland gläubig sind und in die Moschee gehen – so wie ja auch nicht alle Christen in die Kirche gehen. Und zweitens, weil nur ein kleiner Teil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte überhaupt muslimisch ist – nämlich fünf von 26 Prozent.

Sie fordern von den deutschen Medien eine selbstverpflichtende Quote für Menschen mit Einwanderungsgeschichte von 30 Prozent bis 2030. Damit liegt die Quote sogar über dem Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Warum?

Weil wir aus der Gender-Forschung wissen, dass es für Veränderung eine »kritische Masse« von 30 Prozent braucht. Wenn eine einzige Frau in die Vorstandsetage geholt wird, dann kann sie dort keinen System- oder Kulturwandel einläuten. Sie ist dann die Quotenfrau für das Foto und muss sich ansonsten anpassen – also so kleiden, reden und arbeiten wie die anderen.

Und warum selbstverpflichtend?

Zum einen ist uns die Pressefreiheit heilig. Zum anderen kann eine Quote für Menschen mit »Migrationshintergrund« auch tricky sein. Der Chefredakteur der Welt-Gruppe Ulf Poschardt hat statistisch gesehen auch Migrationshintergrund, weil ein Elternteil dänisch ist. Uns geht es aber nicht darum, dass am Ende mehr weiße Schweizer*innen oder Skandinavier*innen eingestellt werden, sondern dass rassistisch markierte Gruppen sichtbar werden. Deshalb muss das gewollt werden.

Und denken Sie, die Medien werden sich freiwillig dazu verpflichten?

Es wäre jedenfalls in ihrem eigenen Interesse. Dass junge Menschen heute kaum noch ARD, ZDF und die Dritten gucken, liegt auch daran, dass sie sich dort nicht wiederfinden. Medien, die in den nächsten zehn Jahren noch Reichweite haben wollen, müssen divers werden. Guter Journalismus ist vielfältig. Es geht nicht darum, nett oder fair zu sein, sondern darum, ein gutes Produkt zu machen. Im Grunde wollen wir die Medien vor dem Aussterben retten (lacht).

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